Der Trend, der die Reisebranche in der nächsten Zukunft deutlich prägen wird und mit dem sich das deutsch-österreichische Trendforschungsinstitut Zukunftsinstitut in einer Studie beschäftigt hat, trägt den Namen Resonanz-Tourismus. Ein Name, der an Schwingungen denken lässt, an Nachhall. Tatsächlich wird darunter eine Art des Reisens verstanden, die nicht nur oberflächlich stattfindet, sondern in den Reisenden selbst noch lange nachwirkt. Weil sie unterwegs berührt wurden – durch echte Begegnungen mit Menschen, durch Austausch, durch authentische Erlebnisse. All das hinterlässt Spuren.
Resonanz ist die Grundsehnsucht
nach einer Welt, die einem antwortet.
Auf Rosas Ansatz basiert auch die Studie des Zukunftsinstituts „Der neue Resonanz-Tourismus – Herzlich willkommen!“. Das Institut untersucht darin, was der neue Trend für den Tourismus bedeutet. Vier Thesen hat es dazu formuliert, die wir Ihnen auf den nächsten Seiten vorstellen.
Die letzten Jahrzehnte war unsere Gesellschaft stark von den Megatrends Individualisierung und Konnektivität geprägt. Es waren Trends, die auch eine gewisse Kühle mit sich brachten, eine Tendenz zu Abgrenzung und Anonymität. Doch der Megatrend Individualisierung hat seinen Zenit überschritten. Die Sehnsucht nach Verbundenheit und Gemeinschaft wächst; die westliche Gesellschaft entwickelt sich weg von übersteigertem Individualismus und hin zu einer neuen Wir-Kultur. Tendenzen, die durch die Erfahrungen der Corona-Zeit mit großer Wahrscheinlichkeit noch deutlich verstärkt werden (die Studie selbst erschien 2019). Parallel dazu findet eine zweite Entwicklung statt: Reisen ist immer weniger Garant für Glückserlebnisse – weder für Gäste noch für GastgeberInnen. Als brummende Branche mit stabiler Basis und breitem Massenmarkt hat der Tourismus zwar keine Wachstumssorgen, dafür aber zunehmend Qualitätsprobleme: Der individualisierte Massentourismus schadet der Umwelt, stresst die Reisenden, belastet MitarbeiterInnen und Locals und mutiert damit immer öfter zu einer negativen Erfahrung.
Vor diesem Hintergrund entwickeln die Menschen neue Grundbedürfnisse. Sie suchen immer mehr nach Verbundenheit, Zugehörigkeit, Resonanz. Die Beziehungen zu anderen Menschen, zu Natur und Umgebung werden wichtiger. Statt Selbstoptimierung wird echter Austausch angestrebt, durch authentisches Erleben der Umwelt. Eine neue Wir-Kultur entsteht, in der Verbindungen und Zugehörigkeit wichtiger sind als Abgrenzung. Und das gilt auch für den Reisesektor.
Für das Zukunftsinstitut ist klar: Reisende wollen nicht mehr gesichtsloser „Paxe“ sein, „Zielgruppe“ oder unsichtbare Partikel in einem homogenen Gästestrom. Sie wollen Menschen sein, die wahrgenommen werden und denen zugehört wird. Sie wünschen sich ungefilterte Erlebnisse und echte Beziehungen zu ihren Gastgeber*innen und ihrer Gast-Welt. Sie wollen keine standardisierten Begrüßungsformeln von Rezeptionist*innen hören, die sie dabei nicht einmal ansehen, sondern einen herzlichen Händedruck von einem Wirt/einer Wirtin, der/die ihnen tatsächlich zuhört. Sie wollen die Begegnung mit dem lebendigen, echten Leben vor Ort. Wenn sie das haben, empfinden sie ihren Urlaub als Glückserlebnis. „Resonanz als transformative Erfahrung ist das Grundbedürfnis des Menschen in einer wir-kulturellen Gesellschaft“, so lautet die These des Zukunftsinstituts, die sich an die Angebotsseite des Tourismus richtet.
Resonanz bedeutet auch, dass das Erlebte nachklingt. Wer „resonant“ unterwegs ist, sucht kein punktuelles Glückserlebnis, das nur an der Oberfläche kratzt, sondern eine transformative Erfahrung. Der Urlaub soll die Möglichkeit zu einer gewissen Veränderung bieten. Er soll neue Erkenntnisse schenken oder dazu führen, dass sich der Mensch innerlich oder äußerlich fortentwickelt. Charakterbildung, Selbstentfaltung! Solche Erwartungen stellen TouristikerInnen vor völlig neue Hausforderungen. Denn künftig wird man Reisende nicht mehr allein mit Verwöhn-Pension, Sonnenschein und Saunawelt locken können. Sondern nur noch dann, wenn in Kombination damit auch die Möglichkeit gegeben wird, echte, tiefgehende Erfahrungen zu machen. Doch wie können solche Angebote aussehen?
Das Problem dabei: Jeder Mensch spürt Resonanz anders, erlebt sie in anderen Situationen. Resonanz ist eine höchst individuelle Angelegenheit. Das macht die Sache für Touristiker*innen auf den ersten Blick kompliziert. Manche Gäste wollen mit dem Förster in den Wald, andere allein vor einem Barockaltar meditieren, wieder welche ein Jazzkonzert auf einem Berggipfel.
Wie soll man eine derart breit gefächerte Nachfrage abdecken? Gar nicht erst versuchen, rät das Zukunftsinstitut. Aufgabe der Tourismusakteur*innen sei es vielmehr, die Grundbedingungen zu schaffen, in denen Resonanzerlebnisse überhaupt erst vorstellbar sind. Resonanzräume herzustellen, in denen Achtsamkeit, Gemeinschaft und Wachstum stattfinden können. Klar, dass solche Erlebnisse leichter in einer Umgebung möglich sind, die ökologisch und nachhaltig geprägt ist. Oder in der Kunst und Natur zu Hause sind. Dort, wo echte Menschen anzutreffen sind und ein Dialog entstehen kann. „Denken Sie über Ihr Angebot nicht aus Unternehmenssicht nach, sondern auch aus Kundensicht: Welche Gesamterfahrung hält es bereit?“, gibt das Zukunftsinstitut den Tourismusakteur*innen mit auf den Weg.
Wenn Destinationen in Zukunft attraktiv sein möchten, müssen sie lernen, sich nicht mehr nur über einzelne, solitär beworbene Hotspots und Tourismusmagnete zu definieren, sondern ihre Attraktivität aus ihrem Resonanzpotenzial zu beziehen. An diesem Punkt, findet das Zukunftsinstitut, wird der Blick über den eigenen Tellerrand hinaus unvermeidbar: Die verschiedenen AnbieterInnen innerhalb einer Destination, einer Region, müssen eine gemeinsame Identität und ein gemeinsames Verständnis von Resonanzangeboten entwickeln. Sie müssen sich auf ein gemeinsames Narrativ einigen. Und sich dazu vorher ein paar grundlegende Fragen stellen. Wer sind wir eigentlich? Was macht uns wirklich aus? Welche Trends passen überhaupt zu uns? Was ist unser Genius Loci? Diese neu bestimmte Identität dürfe ruhig auch ungewöhnlich und fernab der klassischen Tourismusbilder liegen. Und vor allem nicht anderswo abgekupfert werden. Denn: Authentizität lässt sich nicht inszenieren. Sie funktioniert nur, wenn sie auch wirklich … authentisch ist.
Gestützt wird eine gemeinsame Identität durch die Bildung von Partnerschaften, durch praktische Zusammenarbeit. Das Resultat ist nicht eine Vielzahl parallel marschierender Einzelkämpfer*innen, sondern ein lebendiges Ökosystem, zu dem Unternehmen ebenso gehören wie Institutionen, Kommunen, Einzelpersonen.
„Kooperationen und Fluid Spaces bilden die gestalterische Grundlage für das Ökoystem eines Resonanz-Tourismus“, lautet die These des Zukunftsinstituts wörtlich. Ziel ist ein flexibles Netzwerk, möglichst branchenübergreifend, in dem Gäste und Gastgeber*innen als Menschen gleichermaßen wichtig sind. Denn: Resonanz lebt von Wechselbeziehungen. Nur wenn Einheimische in die neuen touristischen Konzepte von Anfang an einbezogen werden, können sie ihre Rollen als reine Dienstleister*innen oder Statist*innen verlassen und den Gästen auf Augenhöhe begegnen – eine entscheidende Voraussetzung für echte Resonanz. Die Einheimischen wechseln in die Position von gefragten Expert*innen und Bezugspersonen, was auch ihr Verständnis von Tourismus positiv beeinflussen dürfte: So folgt aus Resonanz Akzeptanz.
Resonanz-Tourismus heißt für das Zukunftsinstitut, alle Menschen in einer Destination anzusprechen. Aus abgegrenzten touristischen Räumen werden so offene Lebensräume. Der Tourismus wandelt sich vom isolierten System zu einem Fluid Space mit fließenden Grenzen. Konkret gilt das übrigens auch für die Architektur: Die Möglichkeiten zur Begegnung, zum Austausch dürfen nicht dem Zufall überlassen werden, sondern müssen bewusst geschaffen werden. Hotels etwa brauchen jetzt einladende Räume, in denen Gemeinschaft entstehen kann – zwischen Tourist*innen, Einheimischen, Mitarbeiter*innen.
Das Grundbedürfnis nach Resonanzerfahrung ist allen Menschen gemeinsam. Auch den Mitarbeiter*innen im Gastgewerbe. Das Zukunftsinstitut glaubt daher, dass eine auf Resonanz ausgerichtete Unternehmens- und Führungskultur auch bei einem der großen Probleme der Tourismusbranche helfen könnte: dem allgemeinen Fachkräftemangel.
Jobs in der Touristikbranche gelten oft als anstrengend. Das Image könnte sich verbessern, wenn statt der reinen „Arbeitskraft“ der Mensch in den Vordergrund rückt. „Wollen touristische Betriebe wirklich mehr für ihre Mitarbeiter tun, müssen sie ein neues, konsequent ganzheitliches Verständnis von Hospitality entwickeln – mit Fokus auf dem Menschen als sozialem Wesen, das Zugehörigkeit und Gemeinschaft sucht“, heißt es in der Studie. Nur so könnten attraktivere Arbeitswelten entwickelt werden – und erst danach könnten innovative Weiterbildungs- und Karrierechancen wirklich greifen.
Doch was wünschen sich die Mitarbeiter*innen von ihrem Arbeitsplatz? In den Augen des Zukunftsinstituts sind das heute vor allem Werte wie sinnhaftes Tun, Gestaltungsspielräume, das Leisten eines echten Beitrags für etwas „Größeres“. Das Gefühl, mit der eigenen Arbeit wirklich etwas auszurichten. Wer im Job dieses Gefühl von Selbstwirksamkeit erlebt, ist nicht nur ein zufriedenes, motiviertes Team-Mitglied (und damit tendenziell auch ein/e treue/r Mitarbeiter/in), sondern strahlt das auch aus. Auf die Kolleg*innen, die Vorgesetzten, natürlich auch auf die Gäste selbst. „Die Gäste spüren, wenn Mitarbeiter*innen ein gutes Arbeitsumfeld haben und im Beruf glücklich sind“, zitiert die Studie den Leiter eines Hamburger Hotelrestaurants. „Und das überträgt sich wiederum auf die Gäste.“ Hospitality im Resonanz-Tourismus bedeutet daher, allen Menschen Resonanzerfahrungen zu ermöglichen.
Tipps des Zukunftsinstituts an die Hotellerie: Verständnis für die Werte der Mitarbeiter*innen entwickeln, eine empathische Führungskultur gestalten und eine Kultur des Dialogs, des Zusammenhalts und der Teilhabe fördern.
„Seamless Journey“, wörtlich übersetzt die „nahtlose Reise“, ist die Traumvorstellung vor allem der ITExpert*innen und Logistiker*innen in der Branche und beschreibt eine Reise ohne Ruckeln, in der Buchung, Bezahlung und die Verknüpfung der verschiedenen Reiseelemente glatt und ohne Zwischenfälle verlaufen. Um Tourist*innen ein solch nahtloses Reiseerlebnis zu ermöglichen, wird von allem in Buchungstechnologie investiert – immer smartere Benutzeroberflächen, immer intuitivere, schnellere Buchungsmöglichkeiten. Für das Zukunftsinstitut besteht die Gefahr hier allerdings in einer Überfrachtung der Reisenden durch eine Flut an Infos und Möglichkeiten, die eher Druck erzeugen als Urlaubs(vor)freude. „Seamless“ sollte also im Sinne von Resonanz ganz anders gedacht werden und stärker auf ein Reiseerlebnis abstellen, bei dem sich Tourist*innen bei allen digitalen Möglichkeiten nicht alleingelassen, sondern viel mehr gut aufgehoben fühlen. „Seamless Journey definiert sich über die Qualität der Reiseerfahrung als Ganzes, nicht über Technologie“, sagen die Zukunftsforscher.
Sinnvoll für Pauschalreisende könnten zum Beispiel Apps sein, die auch unterwegs der Kommunikation mit dem Reisebüro dienen, wenn etwa bei der Anreise nach Verspätungen spontane Umbuchungen nötig werden. Klassische Stressmomente, die das Reiseerlebnis erheblich beeinträchtigen können. Auch beim Thema Overtourism lassen sich Digitalisierung und Big Data zur Gewinnung von Resonanzerfahrung einsetzen, hat das Zukunftsinstitut herausgefunden. Menschenmassen am besuchten Ort vorzufinden, auf den man sich selbst gefreut hat, schlägt sich bei vielen Tourist*innen immer öfter als negatives Reiseerlebnis nieder. Anbieter*innen können hier mithilfe von Big Data Analytics zum Beispiel vor bestimmten Reisedaten abraten, Alternativorte vorschlagen, eine weniger bekannte, aber ebenso schöne Sehenswürdigkeit. Der Ausflugsticker der BayTM geht bereits in diese Richtung und empfiehlt je nach aktueller Auslastung von Straßen und Ausflugszielen wirklich interessante, weniger bekannte Geheimtipp-Alternativen.
Auch das Thema Mobilität fällt in den Bereich der „Seamless Journey“, erst recht, wenn bereits die Anreise
zum Urlaub gerechnet wird. Superbillige Flugreisen ohne jeden Komfort, bei denen die Menschen wie Ölsardinen in der Büchse sitzen, werden künftig vermutlich an Beliebtheit deutlich abnehmen; gleichzeitig steigt – Stichwort Flugscham – die Attraktivität von Nah- und Bodenreisen. Hier steckt für das Zukunftsinstitut jede Menge Potenzial: Anbieter*innen können zum Beispiel die nachhaltige, entspannende Anreise mit dem Zug in den Urlaub inkludieren. „Spielend können Autovermietung, Fahrradverleih und alternative Verkehrsmittel in die Reise mit eingebunden werden und so eine konsistente Reiseerfahrung ermöglichen. Auch der Wanderurlaub kann schon vor der Ankunft beginnen, indem die letzte Etappe der Reise einfach zu Fuß zurückgelegt wird.“ Mit Sicherheit eine Anreise ganz im Sinne des Resonanz-Tourismus!
Die Tourist*innen fühlen sich in guten Händen und nicht alleingelassen. Beste Voraussetzungen also für eine Reise, die noch lange positiv nachhallt.
© Jan Greune; Florian Trykowski; Gert Krautbauer; Adobestock – Golden Sikorka