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{{postCount}} Wenn alle wie gelähmt sind
Wir tun uns schwer damit, unser Verhalten zu ändern. Wie also können wir uns motivieren? Durch Emotionen und durch Gruppengefühl

Wenn alle wie gelähmt sind

Ein Mann steht vor einer Wand mit der Aufschrift © Yves Sucksdorff
„Klimaschutz ja, aber …“ Diesen Gedanken kennen wir alle. Die Frage ist: Warum haben wir ihn?

Wir wissen, was gegen den Klimawandel zu tun ist. Doch es scheint, als seien wir kollektiv gelähmt. Aber was bremst uns? Sind uns die Fakten zu unbequem, die Zukunftsaussichten zu düster? Scheint uns die Aufgabe zu groß?

Studien sprechen von einer „psychisch-mentalen Dynamik“ in solchen Situationen. Theo­retische Analysen allein genügen nicht, damit Menschen ihr Verhalten ändern. Aufklärung wirkt nur, wenn sie auch Emotionen weckt.

„Einen Temperaturunterschied von ein bis zwei Grad Celsius, etwa an einem Sommertag, nehmen wir kaum wahr. Wenn wir jedoch Fieber haben, merken wir einen großen Unterschied. Bei 37 Grad Körpertemperatur fühlen wir uns wohl, bei 39 Grad sind wir spürbar krank.“ Ein kleines Beispiel aus einer aktuellen Klimaausstellung des Berli­ner Museums für Kommuni­kation, das auf eindringliche Weise die Dimension der Erderwärmung benennt.

Theorie reicht nicht. Auch Gefühle müssen angesprochen werden

„Die meisten Deutschen teilen das Gefühl, hilflos gegenüber dem Klimawandel zu sein“, haben Untersuchungen ergeben. Daraus folgten „Enttäuschung, Wut und Angst. Gleichzeitig gibt es die Bereitschaft, etwas für den Klimaschutz zu tun. Warum sind wir dann nicht alle aktiv, geben uns Hoffnung und motivieren uns gegenseitig? Weil Menschen darauf achten, was die anderen denken und tun. Wenn der Eindruck entsteht, dass das eigene Umfeld, die Gesellschaft und die ‚großen‘ Akteure wie Politik und Wirtschaft nicht handeln, kann eine ‚kollektive Lähmung‘ entstehen“, heißt es in der Ausstellung.

Die Menschen sehen die Grenzen dessen, was Einzelne zu ändern vermögen. Sie können aufs Fahrrad umsteigen, und trotzdem entstehen Einkaufszentren auf der grünen Wiese. Sie können ihren Balkon bepflanzen, aber weiterhin werden große Gebäude gebaut ohne Dach- und Fassadenbegrünung.

Wenn die großen Akteur*innen nichts tun, entsteht Lähmung

Einzelne können auf Plastiktüten verzichten, aber das ändert nichts daran, dass in industriellem Maßstab Kunststoffe eingesetzt werden, als Hilfsmittel, als Bauteile, als Verpackung. „Einzelne haben das ungute Gefühl, mit ihren Anstrengungen allein zu sein und wenig ausrichten zu können“, stellt die Berliner Ausstellung fest. „In dieser Dynamik liegt womöglich die größte Herausforderung der Klimawende.“

Um solche Lähmungen zu überwinden, hat die Transformationsforscherin Maja Göpel ein besonderes Rezept. Mit ihrem Bestseller „Unsere Welt neu denken“ hat Göpel vor drei Jahren Strategien zur Rettung des Planeten entworfen, mit ihrem neuen Buch „Wir können auch anders“ will sie aufzeigen, wie aus dem neuen Denken neues Handeln werden kann. „Unsere Gesellschaften stehen inmitten von Veränderungen, wie sie in der Geschichte der Menschheit bisher wohl nur die Erfindung des Ackerbaus oder die Entstehung von Feudalismus, Industrialisierung und Kapitalismus mit sich brachten“, schreibt Göpel. Die Menschen seien an diesen „Großen Transformationen“ aber nicht zerbrochen, die Menschheit sei daran gewachsen. „Wir unterschätzen uns selbst“, so Göpel. Wir können mehr, als wir uns zutrauen.

Anhand von Experimenten und Analysen der Systemtheorie erläutert die Wissenschaftlerin, wie wichtig es ist, Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft in ihren vernetzten Strukturen zu begreifen, nicht isoliert an einzelnen Symp­tomen herumzudoktern, sondern die vielfältigen Wechsel­wirkungen zu beachten. „Im Moment glauben wir vielleicht, dass wir der Rettung der Welt ein großes Stück näher kommen, wenn wir unsere Autos statt mit Diesel oder Benzin einfach mit Strom fahren“, schreibt sie. Doch dafür müssten wir noch sehr viele Windräder und Photovoltaik­anlagen aufstellen. Das erfordere enorme Mengen an Eisenerz, Kupfer, Bauxit und Seltenen Erden, die gefördert und befördert werden müssten. Der Betrieb der E-Autos sei abgasfrei, aber deren Herstellung nicht. Und das „Aus für den Verbrenner“ bringe „in den Städten ja nicht mehr Platz für Radfahrer*innen und Fußgänger*innen“. Die Stadt wäre kaum attraktiver, Pendler*innen müssten weiterhin pendeln. „Die Verkehrswende lediglich auf die Einführung von Elektroautos zu verengen, zeigt beispielhaft, dass wir oft viel zu früh aufhören zu fragen, worin das grundlegende Problem besteht, das wir lösen wollen. Und wo das langfristige Ziel liegt …“ Es reiche nicht, die Fehler innerhalb des bestehenden Systems beheben zu wollen. Grundlegendes müsse sich ändern.

Wie in Paris. Dort sei die Bürgermeisterin Anne Hidalgo mit einem Konzept angetreten, das sie „15-Minuten-Stadt“ genannt habe. Alles sollten die Bürger*innen im engen Umkreis erledigen können. Schon in ihrer ersten Amtszeit habe Hidalgo begonnen, Paris umzukrempeln. Sie habe die große Schnellstraße an der Seine gesperrt und zum Park umbauen lassen. Für ihre Wiederwahl habe sie angekündigt, Parkplätze in Grünflächen umzuwandeln, Avenuen in Radwege und Plätze in Fußgängerzonen. „Was 
wäre in Deutschland los, wenn sich eine Politikerin in einer derart großen Stadt mit so einem Programm zur Wahl stellt?“, fragt Göpel.

In einer Gruppe Gleichgesinnter fällt Motivation viel leichter

In Paris wurde die Bürgermeisterin im Amt bestätigt. Sie will in der Metropole 170.000 Bäume pflanzen, das Radwegenetz auf 1.000 Kilo­meter erweitern, aber auch Zehntausende Sozialwohnungen bauen lassen. „Hidalgo hat verstanden, dass sie den Bewohner*innen nicht einfach ihr Auto wegnehmen konnte, egal, wie viele gute Gründe es dafür gab“, schreibt Göpel. „Sie musste ihnen ein Angebot machen, wie sie den Alltag ohne Auto besser bewältigen konnten. Und sogar so, dass er schöner und stressfreier wurde.“

Die Große Transformation, ausgelöst durch den Klimawandel, sieht Göpel als Chance, die Menschen glücklicher zu machen. Andere Städte, wie Kopenhagen, Amsterdam, Wien, Zürich oder Barcelona, seien auf einem ähnlichen Weg wie Paris – zu frischer Lebendigkeit.

Für die Einzelnen braucht es positive Beispiele aus ihrem Umfeld

Der Aufbruch zu neuen Horizonten gibt einer Gesellschaft den nötigen Schwung, auch große Hindernisse zu überwinden, lautet die Botschaft. Für die Einzelnen bedarf es aber auch positiver Beispiele im persönlichen Umfeld. So ergab eine im Fachmagazin „Natural Climate Change“ veröffentlichte Studie der niederländischen Universität Groningen, dass vor allem vier Dinge den Menschen zur Anpassung motivieren: die Wahrnehmung dessen, was andere tun, die Sorge vor dem, was kommt, die Überzeugung von der Wirksamkeit getroffener Maßnahmen und das Vertrauen auf Selbstwirksamkeit. Mehr als konkretes Wissen über Klimazusammenhänge würden Menschen durch das Verhalten ihnen nahestehender Menschen inspiriert. Oder durch emotionale Bindungen an bestimmte Orte.

Noch eine Strategie wird als Motivierungshilfe angesehen: nicht alleine die Welt verändern zu wollen, sondern mit einer Gruppe Gleichgesinnter. Wenn sich in der Gruppe alle klimafreundlich verhalten, entsteht bei den Einzelnen viel eher das Gefühl, dass sie etwas erreichen können. Und das moti­viert. Schließlich geht es nicht darum, was wir zu verlieren haben. Sondern darum, was wir gewinnen können.

Hören Sie hier einen Podcast zum Thema Motivation für Klimaschutz.

© Yves Sucksdorff