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Blick auf eine Schneedüne

Was kommt nach dem Schnee?

Die Erderwärmung stellt die bayerischen Skigebiete vor gewaltige Herausforderungen. Doch Hilfe naht: Die europaweit angelegte Studie „Beyond Snow“ will dafür unterschiedliche Entwicklungsszenarien erarbeiten. 

Peter Meroth Autor

Mit 1.456 Meter Höhe überragt der Große Arber fast alle Gipfel der 33 deutschen Mittelgebirge. Nur der Feldberg im Schwarzwald ist 47 Meter höher als der Riese des Baye­rischen Waldes. Mit der Arber-Bergbahn können Wandersleute und Skifahrer*innen in luftige Höhen entschweben. 2024 wird Jubiläum gefeiert. Dann läuft das Kerngeschäft seit 75 Jahren im Ganzjahresbetrieb. Im Sommer sind es eine Gondel und zwei Sessellifte, im Winter kommen drei Schlepplifte hinzu, die zusammen täglich bis zu 3.000 Menschen befördern können. Plus fünf „Zauberteppiche“ – Förderbänder für Kinder und Anfänger*innen. Und jeder Euro, den Gäste am Berg ausgeben, wird begleitet von weiteren 5,20 Euro, die sie der Region bringen.

Deshalb war es eine bittere Überraschung, als die Arber-Bergbahn vergangenen Winter kurz vor Weihnachten schließen musste. „Es hatte alles so gut ausgesehen“, berichtete der „Münchner Merkur“. „Tiefste, zweistellige Minusgrade im Dezember, ganz Bayern mit einer geschlossenen Schneedecke und Eisschicht überzo­gen. Doch dann schoss bin­nen weniger Tage das Ther­mometer um rund 30 Grad nach oben. Von teils minus 15 bis minus 19 Grad auf 15 Grad plus. Dazu Föhn (…) und danach Dauerregen.“

Die Erderwärmung hat Folgen – auch für die Ferien

Diese „Wetter-Giftmischung“ in Bayerns wärmstem Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen habe zu einer historischen Schneearmut in Bayern und im gesamten Alpenraum geführt. „Der Klimawandel hat den Skisport in Bayern erreicht“, urteilte der „Merkur“. Solche dramatischen Wetterereignisse wie der plötzlich dahingeschmolzene Schnee bringen enttäuschten Urlauber*innen in Erinnerung, womit sich Forschende, Politi­ker*innen, Umweltaktivist*innen und nicht zuletzt Tourismusexpert*innen schon lange beschäftigen. Die Erderwärmung hat Folgen – auch für die Ferien.

Die Bahnbetreibenden am Großen Arber haben selbst nachgerechnet. Auf Grundlage der Daten einer Station des Deutschen Wetterdienstes auf dem Berg ermittelten sie einen Anstieg der Durchschnittstemperatur in den vergangenen 35 Jahren um 1,5 Grad. Allerdings mit einem interessanten Detail. „In den langen Sommermonaten beträgt die Zunahme sogar 1,8 Grad“, sagt Thomas Eckl, stellvertretender Betriebsleiter der Bahnen. „In der kurzen Winterzeit aber sind es nur 0,15 Grad.“ Schon öfter hätten die Bahnen zu Weihnachten und Neujahr stillgestanden, weiß Eckl. „Seit den 1960er-Jahren in jedem Jahrzehnt einmal.“ In der vergangenen Saison sei das Geschäft Mitte Januar wieder angelaufen. „Dann hatten wir einen grandiosen Februar und einen grandiosen März.“ Probleme gebe es eher in Lagen unter 1.000 Metern. Das sei „eine magische Grenze“. Doch Gedanken über die Zukunft machen sie sich auch am Großen Arber.

Man kann abwarten. Oder zukunftsweisende Entscheidungen treffen.

Thomas Eckl, stellvertretender Betriebsleiter der Arber-Bergbahn

Die Studie will verschiedene Strategien anbieten

„Freilich, man kann einfach abwarten, was kommt“, sagt Thomas Eckl. „Aber man kann auch zukunftsweisende Entscheidungen treffen.“ Deshalb haben sie zugesagt, als eine Anfrage der Technischen Hochschule Deggendorf kam. Professor Marcus Herntrei lehrt dort International Tourism Management. Er ist bestens vernetzt in der internationalen Forschung auf seinem Fachgebiet. Durch seine Expertise und seinen Einsatz wurde der Große Arber mit den Gemeinden Bodenmais, Bayerisch Eisenstein sowie der angrenzenden Gemeinde Lam nun zu einer der zehn Pilotregionen des Projekts „Beyond Snow“.

Was „Jenseits des Schnees“ kommt, wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissen­schaftler in der Studie zu­sammen mit den Verantwortlichen vor Ort ergründen: welche Veränderungen der Klimawandel für den Wintertourismus bringt, wie sich die Branche und die betroffenen Gebiete wappnen und was sie voneinander lernen können. Die 13 Partnerinstitutionen des sechs Länder übergreifenden Projekts haben sich zum Ziel gesetzt, „gemeinsam nachhal­tige Entwicklungspfade, Über­gangsprozesse und umsetzbare Lösungen für Wintertourismus-Destinationen zu entwickeln“. 

Wie bei internationalen Kooperationen nicht zu vermeiden, tauchen neben dem englischen Projektnamen auch eine ganze Reihe von Abkürzungen in der Beschreibung des Vorhabens auf. Lead Partner, also federführendes Institut bei „Beyond Snow“ ist die renommierte EURAC, das europäische Zentrum für angewandte Forschung in Bozen. Auch Herntrei forschte bei EURAC, bevor er zur TH Deggendorf wechselte, genauer zum dort angegliederten Euro­pean Campus Rottal-Inn. Neben Deutschland sind Italien, Frankreich, die Schweiz, Österreich und Slowenien an der Zukunftsstudie beteiligt. Gefördert wird sie von Interreg, dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung.

„Beyond Snow“ ist ein junges Projekt, Ergebnisse werden erst 2026 erwartet. Aber die Ziele sind ehrgeizig. Es soll die Pilotregionen, darunter auch das als „Bayerisch Sibirien“ bekannte Balderschwang im Allgäu, widerstandsfähiger gegen den Klimawandel machen, die Abhängigkeit vom Schnee soll verringert, das Angebot an alternativen Angeboten erweitert werden. Die Regionen sollen ihre Attraktivität für Einheimische und Gäste mindestens erhalten, wenn nicht sogar steigern können. Das Projekt soll Vorschläge für politische Leitlinien liefern sowie ein Resilience Decision Making Digital Tool entwickeln – Datenmaterial, Programme und Algorithmen, um „Empfehlungen für den Übergang zu nachhaltigen Tourismusmodellen“ zu generieren.

In den Ankündigungen klingt einiges noch wie ein Wintermärchen aus der Zukunft, doch „Beyond Snow“ kann vielerorts an bereits verwirklichte Erfolgsgeschichten anknüpfen. In Bad Hindelang beispielsweise. Dort trafen sich im Oktober mehr als hundert Expert*innen aus sechs Ländern zur Fachtagung über Wintertourismus, Mobilität und Energie. Ohne Berg- und Almbauern und -bäuerinnen gebe es keinen Tourismus, mahnte Bürgermeisterin Dr. Sabine Rödel die Versammelten. In der Oberallgäuer Marktgemeinde regelt deshalb ein Ökomodell das verträgliche Miteinander von Landwirtschaft, Naturschutz und Tourismus, von Einheimischen und Tourist*innen.

Portrait von Katharina Gasteiger

Das Gebot der Stunde lautet, neue Standbeine aufzustellen.

Katharina Gasteiger, Geschäftsführerin „Allianz der Alpen“

Das Bad Hindelanger Lebensraumkonzept zeige, wie die Transformation funktionieren könne, lobte auch Katharina Gasteiger, Geschäftsführerin der „Allianz in den Alpen“, eines Netzwerks von 300 Gemeinden und Regionen. Die „Allianz“ hatte zu dem Expertenforum eingeladen und ist ebenfalls an der Zukunftsstudie „Beyond Snow“ beteiligt. Eine Blaupause für die eine, entscheidende Strategie gebe es nicht, individuelle Konzepte seien gefragt, betonte Gasteiger. „Wir können nicht Schnee produzieren, bis die Bäche leer sind, wir können aber auch nicht alle Lift- und Skianlagen, die unsere Existenz sichern, von heute auf morgen abstellen. Das Gebot der Stunde ist, neue Standbeine aufzubauen, andere Branchen mit einzubinden sowie den Ganzjahrestourismus so zu stärken, dass unser größtes Kapital, der Naturraum, ebenso erhalten bleibt wie unsere Gäste.“

Das französische Métabief macht vor, wie es geht

Marcus Herntrei sieht auch in dem französischen Skiort Métabief ein Beispiel für die Neuausrichtung. Die kleine Gemeinde, ebenfalls an „Beyond Snow“ beteiligt, liegt ungefähr auf halbem Weg zwischen Basel und Lyon nahe der Schweizer Grenze in einer Höhe um 1.000 Meter, mit Liften bis ins Gipfelgebiet des 1.463 Meter hohen Mont d’Or. Eine ähnliche Situation wie am Großen Arber. Tourismus ist in der Region mit 65.000 Einwohner*innen ein entscheidender Wirtschaftszweig. Viele Spitzensportler*innen im Biathlon und der Nordischen Kombination sind dort groß geworden. Doch der Klimawandel hat Métabief zugesetzt. Selbst der Einsatz von Schneekanonen ist wegen starker Winde kaum mehr möglich. Die Verwaltung fürchtet, dass zwischen 2030 und 2040 mit dem Skifahren endgültig Schluss sein wird. Im Jahr 2016 hat sie deshalb die Umwandlung des Ski-Resorts in eine Mountain-Station eingeleitet.

Ein cleverer Plan, der die Bewältigung des Klimawandels zum Geschäftsmodell machen soll: Mit einer Akademie und einem Tagungszentrum, in denen Touristiker*innen aus anderen Regionen lernen, wie man jenseits des Schnees Reisende mit neuen Winterfreuden beglücken kann. Der Finanzierungsplan steht bereits.

Erfahren Sie mehr über das Projekt „Beyond Snow“.

© stock.adobe.com / nd700; Arber-Bergbahn; stock.adobe.com; Wolfgang B. Kleiner