Der bisher geltende Vertrag zwischen Arbeitnehmer*innen und Arbeitgebern, nämlich der Tausch eines sicheren Arbeitsplatzes gegen hohe Loyalität und Identifikation mit dem Betrieb, löste sich in den letzten zwei Jahrzehnten auf, erst recht, als Digitalisierung und Globalisierung die Arbeitswelt radikal veränderten und Sicherheiten endgültig wegfielen. Oberste Priorität ist nun nicht mehr die Karriere; starre und hierarchische Strukturen werden abgelehnt. Denn die Welt verändert sich auf nie gekannte Weise – und immer schneller. Klimawandel, Krisen und KI zeigen: Es gibt kein sicheres Zukunftsbild mehr. Arbeit wird nicht mehr als Hauptlebenszeit begriffen, stattdessen rückt die Frage nach dem Sinn der Arbeit in den Fokus. Wunschkandidat*innen fordern interessante Arbeitsaufgaben, Respekt, Eigenverantwortlichkeit, Wertschätzung und begreifen sich auch als Problemlösende für gesellschaftliche Zukunftsaufgaben. Die Firmen müssen sich auch angesichts des demografischen Wandels auf diese neuen Werte einstellen, um für solche Arbeitnehmenden interessant zu sein, die sie für sich begeistern wollen.
Der Job soll sich dem eigenen Leben anpassen und nicht umgekehrt. Denn die Trennung zwischen Karriere im Vollzeittempo und Familie, Freund*innen, Hobby, das bedeutete vor allem auch für erwerbstätige Mütter bisher die täglich gleichen Konflikte zwischen Pflichten, Aufgaben, Anwesenheit und schlechtem Gewissen, weil irgendwas oder irgendwer immer zu kurz kam. Arbeiten und gleichzeitig die persönlichen Bedürfnisse besser in den Arbeitsalltag integrieren zu können, das verspricht deshalb nicht nur mehr Lebensqualität, sondern steigert umgekehrt auch die Freude an der Arbeit. Work-Life-Balance kann unterschiedlich organisiert werden. Ob es der „Workation“-Platz auf Bali ist, das Homeoffice mehrmals die Woche oder Arbeitszeit, die nicht mehr als Wochenarbeitszeit verstanden wird, sondern als Kontingent, welches sich individuellen Situationen und Lebensphasen anpasst. Letzteres wird in Skandinavien schon gelebt, machte die Arbeitnehmenden produktiver und ließ gleichzeitig die Krankenstände schrumpfen.
Selbstentwicklung ist die Erweiterung des persönlichen Horizonts. Aber Selbstentwicklung braucht auch Möglichkeiten, das heißt, alle Mitarbeiter*innen sollten in der Entwicklung ihrer Potenziale gestützt und gefördert werden. Im Unternehmen sind das nicht nur wechselnde Betätigungsfelder, ein neuer Handlungs- und Entscheidungsspielraum, sondern auch die gemeinsame Lösungssuche bei Problemen, die gemeinsame Gestaltung der Organisation. Wer sich persönlich weiterentwickelt, kann mit der Zeit auch Sichtweisen und Werte besser akzeptieren, die von der eigenen Haltung abweichen. Davon profitiert das Miteinander auch im Unternehmen.
Immer weniger Menschen wollten sich den Job einfach schönreden, sich damit abfinden oder innerlich kündigen, sondern sich kompetent fühlen und Sinn erleben, sagt der Wirtschaftspsychologe Professor Tim Warszta von der Uni Kiel. Und auch für das Zukunftsinstitut von Matthias Horx ist die Sinnfrage zentral für die neue Arbeitswelt. Welche aktuellen Probleme und welche Zukunftsaufgaben können unsere Produkte oder Dienstleistungen lösen, ist eine dieser Fragen. Wer als Arbeitgeber eine Antwort geben kann und will, schafft ein Umfeld, in dem Mitarbeitende ihre Tätigkeit als sinnstiftend empfinden, was sich indirekt auch auf ihre Gesundheit und Produktivität auswirkt.
Was Einzelne insgesamt als sinnvoll für sich selbst empfänden, könne sich aber unterscheiden, sagt die Psychologin Tatjana Schnell. Sie nennt vier Kriterien unseres beruflichen Sinnerlebens:
Nachhaltigkeit wird von Arbeitnehmenden häufig als erster Wert genannt und meint nicht nur Umweltschutz. Mitarbeitende hinterfragen alle Prozesse eines Unternehmens vom Einkauf über die Produktion bis zur Lieferung mit dem Blick auf Nachhaltigkeit. Ökologische, ökonomische und soziale Aspekte gehen dabei Hand in Hand. Je mehr Beschäftigte davon überzeugt sind, dass sich ihr Betrieb für Umwelt und Gesellschaft einsetzt, desto mehr identifizieren sie sich mit ihm. Nachhaltigkeit bedeutet aber auch, dass es dem Unternehmen um nachhaltige langfristige Beziehungen zum Beispiel zu Lieferant*innen oder Kund*innen geht. Die Langfristigkeit steht über dem kurzfristigen Gewinn, stabile Beziehungen innerhalb und außerhalb der Firma werden immer mehr nachgefragt.
Zwei Begriffe, die wie Gegensätze wirken und sich doch ergänzen. Sicherheit im Job bedeutet nicht mehr wie früher Planungssicherheit vielleicht für ein ganzes Leben, sondern Gewissheit durch vertrauensvolle Kommunikation auf allen Ebenen des Unternehmens. Die Einbindung des Teams und jeder einzelnen Person bei wichtigen Entscheidungen nach dem Motto „Ein starkes Ich im starken Wir“ fördert Sicherheit, ebenso wie das Gefühl, für die eigenen Beiträge geschätzt zu werden, unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder Bildungsniveau. Aber auch die Möglichkeit, schwere, dennoch lösbare Aufgaben zu übernehmen, hilft dabei, ein sicheres Gefühl aufzubauen. Wer an unterschiedlichen flexibel wechselnden Arbeitsprozessen beteiligt wird, kann sich ausprobieren, neue Wege des Denkens kennenlernen, erlebt die Arbeit als persönlich bereichernd, wird auch geistig flexibler und fühlt sich wiederum sicherer. Denn die Mitarbeitenden stellen fest, dass sie in all ihren Facetten gesehen werden.
Transparenz gilt als eine der wichtigsten Ressourcen, um Mitarbeitende langfristig an einen Betrieb zu binden. Vor allem jüngere Angestellte wollen wissen und verstehen, warum Dinge geschehen und Entscheidungen getroffen werden. Transparenz bedeutet aber für jede Firma etwas anderes: Geschäftszahlen offenzulegen, Standortveränderungen zu begründen, Ideen zu Produktveränderungen bei allen einzuholen, das Gehalt von den Mitarbeiter*innen selbst mitbestimmen zu lassen. „Transparent zu sein heißt nicht, jedes kleinste Detail zu teilen“, schreibt der amerikanische Unternehmensberater Simon Sinek. „Transparent sein heißt, immer Kontext für unsere Entscheidungen zu liefern.“ Transparente Führung heißt aber auch, eigene Fehler zu gestehen. So wie Joel Gascoigne, Geschäftsführer des Social-Media-Management-Tools „Buffer“ Er musste 2016 elf Prozent seines Teams entlassen. Statt fadenscheinige Gründe dafür zu nennen, erklärte er öffentlich: „Das ist das Ergebnis meines größten Fehlers. Es ist nicht das Resultat eines sich verändernden Marktes, sondern komplett selbst verschuldet. Ich habe schlechte Entscheidungen getroffen.“ Dieses öffentliche Schuldbekenntnis wurde als naiv oder unternehmerischer Suizid bezeichnet. Aber es hat am Ende die Unternehmenskultur von „Buffer“ gestärkt.
Vertrauen lässt sich nicht verordnen. Es entsteht, wenn Führungskräfte wie gute Eltern wollen, dass ihre Kinder sich sicher und gesund entwickeln. Sie gestalten die Rahmenbedingungen und geben ihnen Raum, sich auszuprobieren, Fehler zu machen und zu wachsen und ihren Weg zu gehen. „eMundo“ heißt ein Softwareentwickler aus München, der für seine Mitarbeiter*innen genau diese Strukturen entwickelt hat und ihnen Vertrauen schenkt mit der Hoffnung, dass die andere Seite es nicht ausnutzt. Hier wird fast hierarchiefrei gearbeitet, Mitarbeitende machen Projekte zu ihren eigenen und übernehmen dafür die Verantwortung. Autonomie und Vertrauen sind zentrale Leitbegriffe der Firmenkultur. Es gibt eine tägliche digitale Besprechung, abgesehen davon kann jede*r entwickeln und programmieren, was und wo er/sie will. Das funktioniert nur mit einer positiven Fehlerkultur: Wenn Fehler passieren, wird nicht die Schuldfrage geklärt, sondern der Fehler analysiert, um so das eigene System kontinuierlich zu optimieren.
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