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Permanente Veränderung wird den Arbeitsmarkt der Zukunft prägen, sagt Expertin Prof. Jutta Rump. Und der Tourismus? Könnte davon sogar profitieren.

Alles bleibt anders

Prof. Jutta RumpProf. Jutta Rump; Foto © www.simonwegener.com
Prof. Dr. Jutta Rump ist Professorin für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Internationales Personalmanagement und Organisationsentwicklung an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen. Sie ist dort außerdem Direktorin des Instituts für Beschäftigung und Employability. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Trends in der Arbeitswelt und die Konsequenzen für Personalmanagement und Organisationsentwicklung.
Annette Rübesamen Interviewerin

Eine schrumpfende Bevölkerung, Boomer kurz vor der Rente und zunehmend digi­talisierte Arbeitsprozesse: Auf den Arbeitsmarkt kommen eine Reihe von Herausforderungen zu. Was das für die Wirtschaft bedeutet und welche Chancen speziell auch für den Tourismus bestehen, darüber haben wir mit Professorin Jutta Rump vom Institut für Beschäftigung und Employability (IBE) in Ludwigshafen gesprochen.

Professorin Rump, wie wird sich der deutsche Arbeitsmarkt zahlenmäßig entwickeln?

Fangen wir mit einer Zahl aus der Gegenwart an. Im Moment sind 25 Prozent aller Arbeitnehmenden in Deutschland über 55 Jahre alt. Diese Personengruppe wird in den nächsten zehn Jahren in Rente gehen. Das bedeutet, 25 Prozent aller Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen auf diesem Arbeitsmarkt werden das Berufsleben verlassen. Wenn wir jetzt mal optimistisch davon ausgehen, dass diese Menschen alle bis zum Alter von 67 Jahren durcharbeiten, dann werden bis 2035 ungefähr elf Millionen Menschen das Arbeitsleben verlassen. Wenn diese Gruppe aber im Durchschnitt schon mit 65 in Rente geht, dann sind es schon 12,5 Millionen Menschen, die bis 2035 den Arbeitsmarkt verlassen.

Auf der anderen Seite und ohne die Zuwanderung der letzten Jahre schon berücksichtigt zu haben, werden wir ungefähr 6,6 Millionen Menschen haben, die in den Arbeitsmarkt hineinwandern. Das macht eine Differenz von 4,4 bis 5,9 Millionen Arbeitnehmern aus. Arbeitskräfte, die uns fehlen werden.

Wie viele Arbeitskräfte fehlen uns heute schon?

Etwas über 770.000 unbesetzte Arbeitsstellen sind aktuell gemeldet. Es fehlen aber sehr viel mehr Arbeitskräfte, nämlich zwei Millionen. So viele könnten im Prinzip eingestellt werden. Denn oft ist es so, dass ein Unternehmen genug Umsatz macht und optimistisch genug in die Zukunft blickt, um neue Arbeitsplätze zu schaffen. Dass es wachsen will und deshalb einstellen würde. Doch diese Stellen werden erst gar nicht gemeldet, weil der Unternehmer weiß, dass er niemanden finden wird.

Wie kann die Differenz auf dem Arbeitsmarkt ausgeglichen werden?

Da tut sich schon etwas. Die Bundesregierung hat im Jahr 2022 eine Fachkräftestrategie entwickelt und setzt jetzt alles daran, dass diese rechnerische Differenz nicht so hart kommt. Dazu gehört auch das Erschließen von ungenutzten Arbeitspotenzialen. Es soll also versucht werden, auch solche Mitmenschen in das Arbeitsleben zu holen, die im Moment gar nicht oder nur bedingt daran teilhaben.

Um welche Potenziale geht es, und was kann man tun?

Es geht hier zum Beispiel um Frauen – speziell um Mütter –, um ältere Menschen, um Menschen mit Handicaps. Und da sind die Arbeitgeber gefragt. Die müssen geeignete Rahmenbedingungen schaffen. Bei älteren Arbeitskräften zum Beispiel durch Gesundheitsleistungen und spezifische Arbeitszeitmodelle.
Frauen und Mütter wiederum müssen hinsichtlich der Vereinbarkeit von Beruf und Familie unterstützt werden; bei Arbeitskräften mit Migrationshintergrund sollte man sich als Unternehmen auch um interkulturelle Kompetenzen kümmern, sodass die neuen Mitarbeitenden schneller und besser integriert werden könnten.

Was gibt es sonst noch für Möglichkeiten zur Arbeitskräftegewinnung?

Wir haben in Deutschland eine der höchsten Teilzeitquoten Europas. 2022 waren es insgesamt 30,2 Prozent, allein bei den Frauen 49,2 Prozent. Wenn jetzt, hypothetisch gesprochen, all diese Teilzeitkräfte ihrem Arbeitgeber pro Woche eine zusätzliche Stunde zur Verfügung stellen würden – eine einzige! –, dann kämen wir von jetzt auf gleich auf 72.000 Vollzeitäquivalente. In anderen Worten: Wir sitzen auf einer großen stillen Reserve von Arbeitszeiten. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, gezielt im Ausland nach Arbeitskräften zu suchen. Ich spreche hier bewusst nicht von Zuwanderung, sondern von internationaler Rekrutierung. Dass man sich also bestimmte Länder ansieht und versucht, Menschen dort zu überzeugen, zu uns zu kommen und zu arbeiten. Unabhängig davon muss natürlich auch versucht werden, die Menschen, die schon eingewandert sind, in Arbeit zu bringen und zu qualifizieren. Dazu müssten allerdings die damit verbundenen Prozesse beschleunigt werden,  die Entscheidung über den Bleibestatus und die Anerkennung von Qualifikationen und Abschlüssen etwa.

Last, but not least gehört dazu auch die Substituti­on menschlicher Tätigkeiten durch Technologie, in Form von Robotern, Algorithmen und KI.

Technischer Fortschritt heißt Entlastung

Rationalisierung am Arbeitsplatz? Diese Vorstellung erfüllt die meisten Menschen aber mit Angst!

Aktuell haben wir zum ersten Mal die Situation, dass technischer Fortschritt nicht mit einem Angstszenario, sondern mit einem Hoffnungsszenario verbunden ist. Die Realitäten haben sich komplett gewandelt. Früher bedeutete technischer Fortschritt Rationalisierung und Arbeitsplatzabbau, kombiniert mit Arbeitslosigkeit. Heute bedeutet er Entlastung der Mitarbeiter. In der Produktion funktioniert das besonders gut, da hat man einen besonders großen Hebel. Aber auch im Tourismus gibt es Möglichkeiten, wenn man kreativ ist. Neulich habe ich in einem Tagungshotel den Service-Roboter „Bella“ erlebt. Der glitt beim Empfang über das Parkett, verteilte Getränke und sammelte später die leeren Gläser wieder ein. Wir Gäste fanden das toll. Die Geschäftsführerin des Hotels hat mir erzählt, dass vor allem ihre Auszubildenden es cool finden, dass Bella jetzt im Team ist. Und dass sie jetzt Anfragen von jungen Menschen bekommt, die sich auch deshalb wieder für einen Job in der Hotellerie interessieren. Weil Bella eben auch signalisiert, dass das Hotel der Technologie und der Zukunft offen gegenübersteht.

Stichwort Rationalisierung: Werden wir denn in zehn oder 20 Jahren überhaupt noch so viele Arbeitskräfte brauchen, wie uns heute fehlen?

Diese Diskussion wird immer wieder geführt. Denn jedes Mal, wenn wir vor einer technologischen Entwicklung stehen, heißt es, dass viele Arbeitsplätze wegrationalisiert werden, sodass die Arbeit weniger wird. Wenn das zuträfe, bräuchten wir in zehn oder 20 Jahren nicht mehr so viele Arbeitskräfte wie heute. Doch die Geschichte zeigt, dass es nicht so kommen muss, im Gegenteil. Es ist zu beobachten, dass nach jedem Technologiesprung die Zahl der Erwerbstätigen gestiegen ist. Dies ist damit zu erklären, dass durch den technologischen Fortschritt die Produktivität gestiegen ist, die­se Produktivitätsgewinne in das Geschäftsmodell geflossen sind, was nicht selten mit wirtschaftlichem Erfolg verbunden ist, und damit neue Arbeitsplätze geschaffen worden sind.

Wenn nun künftig Arbeits­plätze nicht besetzt werden können – was bedeutet das?

Wenn sie nicht besetzt werden können und wir keine Alternative finden – Roboter, Verlagerung der Arbeit ins Ausland etc. –, dann kommt es in der Wirtschaft zu Schrumpfungsprozessen. Weil der Unternehmer die Leistung nicht mehr erbringen kann, der Umsatz sinkt, entsprechend weniger Steuern bezahlt werden. Dann hat der Staat weniger im Säckel, und das ist mit Blick auf die demografische Entwicklung ein Problem. Denn unser Rentenversicherungssystem basiert auf dem Generationenvertrag und wird jetzt schon durch Querfinanzierungen vom Staatshaushalt mitbezahlt. Wenn die Zahl der Rentner weiter zunimmt, noch mehr aus dem Staatshaushalt querfinanziert werden muss, der Staatshaushalt gleichzeitig aber mit sinkenden Steuereinnahmen zu kämpfen hat … dann droht ein Wohlstandsverlust.

Wodurch wird der Arbeitsmarkt der Zukunft geprägt sein?

Durch das Thema Veränderung. Man wird permanent lern- und veränderungsbereit sein, wird Anpassungs- und Widerstandsfähigkeit brauchen müssen. Die große Veränderungsdynamik bedeutet, dass für Arbeitgeber und Arbeitnehmer noch etwas wichtig wird: die Fähigkeit, mit dieser neuen Situation gelassen umzugehen.

Wird der Arbeitsmarkt ein Arbeitnehmermarkt bleiben?

Dass es nicht genügend Bewerber für alle offenen Stellen gibt, diese Entwicklung ist nicht neu. Sie begann bereits in 2011. Nach der Wirtschaftskrise 2008 bis 2010 wurde der Nachwuchsmangel zum ersten Mal spürbar. In den darauffolgenden Jahren wurde dies ergänzt durch ein immenses Wirtschaftswachstum, welches auch auf dem Arbeitsmarkt sichtbar und spürbar wurde. IT-Spezialisten, Fachkräfte im Gesundheitswesen und Handwerker etwa wurden knapp. Mit Blick auf die Gegenwart und Zukunft zeigt sich nun, dass die Babyboomer-Jahrgänge in Rente gehen werden; die meisten werden den Arbeitsmarkt zwischen 2027 und 2033 verlassen. Damit entwickelt sich der Arbeitnehmermarkt für bestimmte Berufsgruppen zu einem Arbeitnehmermarkt für alle Berufsgruppen.

Betriebe müssen sich ihre Prozesse ansehen

Wie kann man sich im Tourismus an den Fachkräftemangel anpassen?          

Es gibt mehrere Möglichkeiten. Zum einen durch Technologie.  Aber vor allem durch Prozessoptimierung. Wenn die Arbeitskräfte in einem Hotel knapp sind, kann sich der Hotelier sein Angebot ansehen und es in A-, B- und C-Leistungen aufteilen. Für die C-Leistungen wird vermutlich nicht mehr genügend Personal da sein. B-Leistungen wird er nur anbieten, wenn noch Luft da ist. Dafür wird sich auf A-Leistungen fokussiert. Das führt nicht selten zu einer Standardisierung, denn den Superservice gibt es dann nur noch im Hochpreissegment. Man kann auch überlegen, wie Mitarbeitende produktiver werden können. Wo kann Doppelarbeit vermieden werden, wo lassen sich Zeitreserven heben? Kann ich meine Teilzeitkräfte bitten, zwei oder drei Stunden mehr zu arbeiten? Oder zusätzliches Personal finden, indem ich Teilzeitarbeit anbiete? Möchte ich international rekrutieren? Da ist einiges möglich. Denn der Tourismus als Geschäftsmodell ist ja nicht bedroht. Im Gegenteil. Mit Blick auf ihre Work-Life-Balance nutzen immer mehr Menschen die touristischen Angebote, um es sich gut gehen zu lassen. Der Anteil der Menschen und das Zeitvolumen, das sie im Tourismus verbringen, wird meiner Meinung nach steigen. Das muss man in Einklang bringen mit den knappen Gütern Personal und Zeit. Kreativ zu sein im Leistungsangebot und bei den Prozessen, kann als kleiner Hebel große Wirkung entfalten. Dazu kommt die Bezahlung. Denn gutes Entgelt ist und bleibt eine wichtige Währung auf dem Arbeitsmarkt.

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