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{{postCount}} Ökosystem der Gastlichkeit
Prof. Dr. Harald Pechlaner
Wie können Stadtentwicklung und Tourismusentwicklung Hand in Hand für mehr Lebensqualität sorgen? Tourismusforscher Prof. Harald Pechlaner hätte da eine interessante Idee

Ökosystem der Gastlichkeit

Eine Stadtverwaltung, zwei Abteilungen, die für ein gutes Leben sorgen sollen: Beim Stadtmarketing will man den Ort für neue Unternehmen und Bewohner*innen attraktiv machen. Das Tourismusmarketing hingegen hat die Urlauber*innen im Blick. Doch wo liegen die Gemeinsamkeiten, welche Synergien lassen sich nutzen, wie findet eine sinnvolle Kooperation statt? Darüber haben wir mit Prof. Harald Pechlaner von der Universität Eichstätt gesprochen.

Prof. Dr. Harald Pechlaner
Prof. Dr. Harald Pechlaner
Zur Person

Prof. Dr. Harald Pechlaner ist seit 2004 Inhaber des Lehrstuhls Tourismus und Leiter des Zentrums für Entrepreneurship an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Destinationsentwicklung und -management, Destinationsdesign und Entrepreneurship & Leadership

Tourismusentwicklung, Stadtentwicklung, Lebensqualität: Wie hängen diese drei Dinge miteinander zusammen? Was ist wichtig für was? Und wie führt das eine zum anderen – oder eben auch nicht?

Stadtentwicklung hat viel mit räumlicher Entwicklung zu tun, entlang von Funktionen wie Wohnen, Freizeit, Arbeit oder Konsum. Die Lebensqualität betrifft Faktoren der Attraktivität von Räumen und des Wohlfühlens im Bereich Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt. Zunehmend wird die Lebensqualität zu einem Wettbewerbsfaktor von Standorten. Tourismusentwicklung wiederum kann einen Standort wirtschaftlich beflügeln und idealerweise auch die Lebensqualität der Menschen vor Ort bereichern. Wie wir mittlerweile wissen, kann ein Zuviel an Tourismus die Lebensqualität der Menschen in den Destinationen, also den Tourismus-Standorten – mindern.

Sind Stadt- und Tourismusmarketing gleichberechtigte „Partner“?

Das hängt davon ab, welche politischen und wirtschaftlichen Schwerpunkte an einem Standort gegeben sind. Es gibt Städte, in denen beide Funktionen zusammen organisiert werden, zumeist findet man jedoch das Stadt- und Tourismus-Marketing in getrennter Form vor. Entscheidend ist dabei vielfach die Frage der Finanzierung. Ein Stadtmarketing, welches auf die finanziellen Beiträge des Innenstadt-Einzelhandels aufgebaut ist, entwickelt kaum ein Selbstverständnis für ein touristisches Standortmarketing, obwohl dies wichtig wäre. Wir sehen ja gerade aktuell, dass im Zuge der großen Veränderungen des Einzelhandels in Innenstädten aufgrund der Digitalisierung die Touristen und Gäste als Kundenpotential zunehmende Attraktivität erlangen.

Warum sind Abstimmung und Kooperation zwischen den beiden Bereichen so wichtig? Was riskiert eine Stadt, wenn Tourismus und Kommune ihre Marketingstrategien nicht abstimmen?

Gerade in Städten sehen wir vielfach drei verschiedene Strategien: einmal die Standortstrategie, die darauf ausgelegt ist, als Standort für die verschiedenen Wirtschaftssektoren attraktiv zu sein, oder um neue Unternehmen an den Standort zu binden, dann ein Stadtmarketing, welches das Freizeitangebot hauptsächlich für die Einwohner bereichert, aber auch die Attraktivität der Stadt mittels Dienstleistungen für die Bürgerschaft in den Blick nimmt, und weiters ein Tourismusmarketing, das darauf ausgelegt ist, die touristische Infrastruktur zu entwickeln und möglichst interessante Zielgruppen an Gästen in die Stadt zu bringen. Abstimmung und Kooperation sind schon allein deshalb wichtig, um die Schwerpunkte für die Lebensqualität der Bevölkerung und die Erlebnisqualität für die Gäste festzulegen, denn am Ende gibt es da keinen Unterschied. Was den Menschen vor Ort gefällt und deren Lebensgefühl ausmacht, spricht auch die Gäste an. Ein hohes Maß an Lebensqualität ist obendrein für die Unternehmen am Standort wichtig, weil es ansonsten schwieriger wird, Menschen für ein Arbeiten genau dort zu begeistern.

Was ist der Stand der Forschung zum Thema integriertes/koordiniertes Stadt- und Tourismusmarketing?

Wir vom Lehrstuhl Tourismus der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt verfolgen den Ansatz des „Ökosystems der Gastlichkeit“, bei welchem es darum geht, in städtischen Räumen und deren ländlichem Umfeld ein Netzwerk zu schaffen, welches sich auf die gemeinsamen Ziele wie nachhaltige Mobilität, Innovation, „green oder smart city“, Resilienz oder Kultur und Kreativität konzentriert, anstelle der aufwändigen Schaffung von Organisationen, die alle parallel verwaltet werden müssen und nur auf Teilinteressen ausgerichtet sind. Das Ökosystem darf nicht den Partikularinteressen von Wirtschaftstreibenden alleine überlassen werden, eine konsequente Partizipation schafft die nötigen Räume des Abstimmens zu jenen gemeinsamen Themen, die eine Stadt attraktiver machen sollen – und zwar für die Wirtschaft, für die Einwohner und die Besucher. Es geht am Ende weniger um Tourismus, als vielmehr um die Gestaltung von Besucherströmen und Erlebnissen für Gäste und Einwohner sowie jene Menschen, die aus Arbeitsgründen in die Stadt kommen.

Welche Form der Zusammenarbeit gilt als besonders wirkungsvoll und erfolgreich?

Jene Formen, bei denen es um zukunftsorientierte Themen und weniger um das Verteidigen von Interessen geht. Die Organisationsform selbst spielt eigentlich eine zweitrangige Rolle, wichtig sind gemeinsame Zielsetzungen, z.B. im Bereich der Nachhaltigkeit. Weitere wichtige Themen sind Gesundheit, Bildung und Arbeit, oder zunehmend auch Wohnen. Am Ende tragen all diese Schlüsselbereiche gesellschaftlicher Entwicklung dazu bei, die Lebensqualität zu erhöhen. Ich habe schon vorgeschlagen, anstelle von destination management organization (DMO) von sustainable management organization (SMO) zu sprechen, dann hört das leidige gegenseitige Abgrenzen auf, weil alle sich um die globalen und regionalen sowie städtischen Ziele der Nachhaltigkeit kümmern müssen. Das grundsätzliche Ziel muss demzufolge die Resilienz sein, nämlich die Fähigkeit aller Verantwortlichen in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik, Zukunftsfähigkeit in die Städte zu bringen, Akzeptanz für neue Konzepte zu schaffen, den Innovationsgeist nicht nur für die Wirtschaft, sondern unter dem Stichwort der sozialen Innovation auch für die Gesellschaft als wichtig darzustellen.

In welchen Bereichen verfolgen Tourismus- und Stadt-Marketing in der Regel theoretisch eher dieselben Ziele – und für welche Bereiche gilt das Gegenteil?

Tourismus- und Stadtmarketing wollen gewiss Wertschöpfung in die Stadt bringen, es profitieren in ökonomischer Hinsicht idealerweise die Tourismusbetriebe, der Einzelhandel und sonstige Dienstleistungsanbieter. Es geht weniger um das Gegenteil, sondern mehr um die Frage, ob die Ziele zu einseitig ausgerichtet sind oder ob es ein Zuviel gibt. Ein Zuviel an Einzelhandelsangebot kann das Fehlen von kreativen Räumen der Begegnung erkennbar werden lassen, ein Zuviel an Tourismus kann den Einzelhandel zu stark in Richtung eines Angebotes ausschließlich für die Besucher bringen, was dann wieder von der Bevölkerung als Schwäche wahrgenommen wird.

Es heißt, der Tourismus würde von gutem Stadtmarketing profitieren, weil dadurch ein klares, positives Image einer Destination kommuniziert wird, das für Reisende attraktiv wird. Gilt das auch umgekehrt? Sprich, inwieweit profitiert eine Stadt von gutem Tourismusmarketing?

Ein gutes Tourismusmarketing versteht sich zuallererst nicht als reines Marketing, sondern nimmt einen ganzheitlichen Standpunkt ein, wo es neben der Ansprache interessanter Zielgruppen auch um Infrastruktur, Dienstleistungen und Fragen der Identifikation mit dem Standort geht. Vielleicht sollten wir auch vom Begriff Marketing wegkommen. Eine zeitgemäße Tourismusstrategie startet bei der Frage, welche Art von Lebensqualität für die Einheimischen eine gute Grundlage für die Erlebnisqualität der Gäste sein kann. Touristische Dienstleistungen konsequent auch für die Einwohner zugänglich zu machen oder die Gäste konsequent auf die Besonderheiten des städtischen Lebensraumes aufmerksam zu machen, können Wege sein, um dem zukünftigen Tourismusmanagement eine besondere Stellung zu verleihen.

Worauf wird es beim Stadt- und Tourismusmarketing im Hinblick auf den Tourismus in Zukunft vor allem ankommen? Welche Probleme gibt es zu bewältigen, welche Chancen und Möglichkeiten bestehen?

Der Tourismusbereich bringt neben der Wertschöpfung auch eine Kultur der Wertschätzung in die Stadt, wenn es gelingt, Gäste und Bevölkerung mit ihren nicht immer verschiedenen Interessen zusammenzuführen. Gastlichkeit und Gastfreundschaft bilden die Grundmotivation im städtischen Netzwerk, daran richtet sich vieles aus. Die Standortförderung sollte sich nicht nur als finanzieller Unterstützer sehen, sondern zur Kultur der Gastlichkeit mit innovativen Formaten beitragen, um jungen Menschen ein attraktives Arbeitsumfeld mit zukunftsfähigen Branchen und Bereichen zu vermitteln. Das wiederum schafft Lifestyles, die auch den Besuchern gefallen und für die Einwohner eine zusätzliche Lebensqualität schaffen. Voraussetzung ist also die Überwindung der engen Branchensicht. Von den dadurch ersichtlichen Synergien profitieren dann alle. Wenn das einmal erkennbar wird, beginnt das „Ökosystem der Gastlichkeit“ zu wirken und seine Strahlkraft zu entfalten.

Gibt es Best Practices für die Zusammenführung von Stadt- und Tourismusmarketing?

Ich habe den Eindruck, dass jene Städte, welche neben dem urbanen Aspekt auch das regionale und ländliche Umland mitbetreuen oder gar eine eigene Organisation geschaffen haben, die Stadt und Land stärker zusammenführt, sensibel sind für die Zusammenführung von Stadt- und Tourismusmarketing. Beispiele sind in Bayern in meiner Wahrnehmung die Regio Augsburg Tourismus GmbH oder in Sachsen die Leipzig Tourismus und Marketing GmbH.

Auf welche positiven Beispiele für ein gelungenes Miteinander zwischen Stadt- und Tourismusmarketing können Sie verweisen? Wo hingegen ist es eher schiefgegangen – und welche Fehler sind da gemacht worden?

Grundsätzlich würde ich sagen, dass die Projekte immer dann gut laufen, wenn man einerseits einen Markenprozess anstößt, der die verschiedenen Branchen und Themen zusammenzuführen imstande ist, und trotzdem parallel an der Umsetzung von konkreten Projekten, beispielsweise im Bereich Mobilität, gearbeitet wird. Ein Misserfolg wäre für mich dann gegeben, wenn wir zukünftig nicht imstande wären, die (Innen-)Stadt- und Tourismus-Management-Aktivitäten stärker zusammenzuführen. Lebens- und Erlebnisqualität sowie das Zusammenspiel von Wertschöpfung und Wertschätzung können dabei die Leitgedanken sein.

Beim Tourismuskonvent in Eichstätt war/ist die Bürgerzufriedenheit Ausgangspunkt für die weitere Entwicklung der Stadt. Ist diese Strategie grundsätzlich auch für andere Städte empfehlenswert?

Warum sollte eine Tourismusstrategie in Zukunft – ohne Berücksichtigung der Bedürfnisse der Bevölkerung von Anfang an – erfolgreich sein? Diese Zeiten sind in meiner Einschätzung vorbei. Der globale Tourismus hat sich so erfolgreich entwickelt, dass an vielen städtischen Standorten diffuse Unzufriedenheiten mit dem Tourismus entstanden sind. Da gilt es entgegenzuwirken und frühzeitig die Akzeptanz der Bevölkerung im Auge zu behalten. Städtische Entwicklung sollte sich weniger auf Tourismus, sondern mehr auf Erlebnisse und Besucherströme konzentrieren. Demzufolge würde ich jedenfalls sagen, dass die Zufriedenheit der Bevölkerung der Ausgangspunkt für alle Städte sein sollte, mit dem Ziel, Qualitäten zu schaffen, nämlich Lebensqualität und Erlebnisqualität.

Vielen Dank für das Gespräch, Prof. Dr. Pechlaner!

© Katrin Wycik