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{{postCount}} Mobilität ist eine Frage des politischen Willens
Von nachhaltigen Mobilitätskonzepten profitieren nicht nur Tourist*innen auf der „letzten Meile“, sondern auch Regionalentwicklung und Lebensqualität. Was dazu nötig ist, erklärt Dr. Andrea Möller vom dwif im Interview

Mobilität ist eine Frage des politischen Willens

Dr. Andrea Möller© Heidi Scherm

Nachhaltige Mobilitätskonzepte sind nicht nur für den Klimaschutz wichtig, sondern auch, weil sie durch Reduzierung des individuellen Autoverkehrs einen wichtigen Beitrag zu mehr Erholungs- und Lebensqualität für Gäste und Einheimische leisten. Wenn Mobilitätsangebote von Tourist*innen stärker genutzt werden, führt das nachweislich zu Verbesserungen im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Es profitieren also alle – Umwelt, Gäste, Einheimische. Doch wie lassen sich nachhaltige Mobilitätskonzepte vor allem im ländlichen Raum verwirklichen? Darüber haben wir mit der Mobilitätsexpertin Dr. Andrea Möller vom dwif gesprochen.

Frau Dr. Möller, werden nachhaltige Mobilitätsangebote von Gästen heute erwartet? Und genutzt?

Wir können das nur schwer quantifizieren, aber es wird beobachtet, dass Unterkünfte, die eine Gästekarte anbieten – zu der ja meistens auch ein Mobilitätsangebot gehört –, stärker gebucht werden als solche ohne. Und wenn ein gutes Angebot da ist, nutzen die Gäste das auch. Wir haben das in der Sächsischen Schweiz analysiert, wo zwei Drittel der Gäste über die „Gästekarte mobil“ die Angebote des ÖPNV nutzen und das Auto stehen lassen. Das ist ein sehr hoher Wert.

Welche Unterschiede gibt es bei Mobilitätsangeboten zwischen Stadt und Land?

Die Unterschiede liegen vor allem in der Intermodalität, also im Wechsel zwischen verschiedenen Verkehrsmitteln. In Städten gibt es Mobilitätshubs, an denen U-Bahnen, Busse und Trams an- und aufeinandertreffen, wo Mieträder stehen, Ladestationen für E-Autos, Sharing-Autos. Das ist im ländlichen Raum selten. Ober was die Taktung betrifft: Auf dem Land ist der Stundentakt für Busse etwas Tolles, in der Stadt nicht. Die Fahrradmitnahme in Überlandbussen ist schwierig. Mietsysteme funktionieren in der Fläche nicht so gut. Doch hier ändern sich die Dinge gerade; immer mehr ländliche Regionen versuchen es trotzdem. Das Geheimnis: Man darf nicht nur an den Tourismus denken.

Es geht also auch um die Einheimischen?

Mobilität in Destinationen ist kein rein touristisches Thema, sondern Regionalentwicklung und Lebensqualität für die Einheimischen müssen immer mitgedacht werden. Auf Usedom wurden zusätzliche abendliche ÖPNV-Verbindungen eingerichtet. Nicht nur wegen der Touristen, sondern auch wegen der Azubis, damit die nach Schichtende noch nach Hause kommen. Auch das sind Zielgruppen! Oder wenn eine Destination über ein Bike-Mietsystem nachdenkt: Dann sollte sie nicht nur die Gäste im Blick haben, sondern sich auch mit den großen Arbeitgebern der Region zusammentun. Denn wenn die Einheimischen nicht mitziehen, sind solche Systeme auf Dauer nicht lebensfähig.

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, um nachhaltige Mobilität umzusetzen?

Es braucht geographische und verkehrliche Voraussetzungen, aber entscheidend ist der politische Wille zur Veränderung. Sonst tut sich der Tourismus schwer. Eine Destination, die sich eine nachhaltige Mobilität wünscht, sollte den politischen Rückhalt organisieren, die Bevölkerung mit in die Lösung und Verantwortung nehmen, Kompetenz aufbauen – man braucht dazu Mobilitätsexperten mit touristischer Perspektive – sowie über Geld und langen Atem verfügen. Außerdem muss man die Kooperation zwischen Tourismus, Kommune und Verkehrssektor anstoßen. Alle müssen an einen Tisch!

„Mobilität ist kein rein touristisches Thema. Es geht auch um Regionalentwicklung und um Lebensqualität für die Einheimischen“

Dr. Andrea Möller ist Senior Consultant und Mobilitätsexpertin beim dwif und lebt nachhaltige Mobilität selbst: Die Münchner Skitourengeherin bikt samt Ausrüstung zum Pasinger Bahnhof, besteigt dort samt Fahrrad den Zug und radelt vom Garmisch-Partenkirchner Bahnhof bis zum Toureneinstieg weiter

Womit fängt eine kleine Destination am besten an?

Noch vor den Verhandlungen mit dem Verkehrsverbund lässt sich einfach und schnell das Credo „ÖPNV first“ kommunizieren. Aufzeigen, wie man wohin kommt. Überlegen, ob Schwimmbäder oder Skigebiete integrierte Tickets anbieten können. Man kann aus dem schon vorhandenen ÖPNV-Angebot touristische Produkte stricken, z. B. Wandertouren mit unterschiedlichem Ein- und Ausstieg. Man kann die Unterkünfte ins Boot holen, mit Abholung am Bahnhof oder auch eigenem Radverleih. Und öffentliches Anreisen mit Rabatten der Leistungsträger belohnen. Monetäre Anreize wirken sehr gut.

Ein Problem für Reisende im ländlichen Raum bleibt die letzte Meile. Wie lässt es sich lösen?

Die „letzte Meile“, also die Strecke vom letzten Haltepunkt bis zur Hoteltür oder dem Ausgangspunkt einer Wanderung, muss unkompliziert und sicher zu bewältigen sein. Weitverbreitet ist das Abholen der Hotelgäste am Bahnhof. Dann braucht es vor Ort gut getaktete Bus-, Radmiet- und Rufbussysteme und die Möglichkeit zur Fahrradmitnahme im ÖPNV. Leider erfordern solche lokale Systeme für fremde Besucher noch vor der Nutzung einen gewissen Organisations- und Infoaufwand. Das hält viele Menschen ab. Denn die Alternative ist ja so einfach: Zündschlüssel ins Schloss, Google Maps anwerfen, Ziel eingeben – und schon weiß ich ganz genau, wann ich wo ankomme.

Wie motiviert man Gäste zur Benutzung des ÖPNV?

Mit Mut zu Push und Pull. Ein Pull-Faktor wären bessere Angebote im ÖPNV. Push-Faktoren erschweren den Autoverkehr. Man sperrt etwa Autos aus bestimmten Gebieten aus oder bepreist Parkplätze. Wichtig wäre auch, Produkte zu entwickeln, die zeigen, dass in der autofreien Anreise selbst schon ein Wert liegt. Weil ich beim Umsteigen Zeit für ein Museum habe oder die Veränderung der Landschaft genießen kann. Das wird noch viel zu wenig gemacht. Was auch funktionieren kann: Die Leute mit dem Auto anreisen lassen, ihnen vor Ort dann aber POIs anbieten, die man nur mit dem ÖPNV erreicht. Und die Gäste dann direkt erleben lassen, wie angenehm und vorteilhaft das ist.

Bewirken Verbote ein Umdenken?

Die Akzeptanz für Verbote ist höher, wenn diese gut begründet sind und für alle gelten. Außerdem müssen sie durchsetzungsfähig sein. Sonst entstehen Frust, Unglaubwürdigkeit und Konflikte. Generell sind Ortsfremde leichter zu lenken als Einheimische. Von je weiter weg die Leute herkommen, desto einsichtiger sind sie.

Was wird das 49-Euro-Ticket bewirken?

Das 9-Euro-Ticket hat den Modal Split verändert, also die Verteilung der Nachfrage auf die verschiedenen Verkehrsmittel. Auch das 49-Euro-Ticket dürfte als Booster wirken, wenn auch mehr für Menschen, die bereits eine Affinität zum ÖPNV besitzen. Es ist eine Chance für eine bessere Wahrnehmung und Akzeptanz des ÖPNV.

Vielen Dank für das Interview, Dr. Andrea Möller!

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© Heidi Scherm