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Illustration mit Bergen und Kirchen

Kreativ-Humus

Wo Tourismus und Kreative kooperieren, kommt ein fruchtbarer Kreislauf in Gang, der überraschende Synergieffekte bereithält

Annette Rübesamen Autorin

Stellen wir uns eine imaginäre Kleinstadt im bayerischen Alpenvorland vor. Es gibt dort ein Kloster, ein Museum und Biergärten, Seen und gepflegte Radwege. Im Hintergrund blauen die Alpen. Die Stadt ist beliebt bei Tourist*innen, die auf dem Marktplatz Kaffee trinken, im Kloster Konzerten lauschen, Wellnesstage im Hotel verbringen. Es gibt aber auch Leerstand in der kleinen Stadt und günstige Mieten. In Hamburg und Berlin, wo die Kreativszene blubbert, die Mieten aber so hoch sind wie die Luft schlecht, haben sie von dieser bayerischen Kleinstadt schon gehört. Einigen dieser Kreativen gefällt die Idee von der gesunden Life-Work-Balance dort. Sie ziehen um.

In unserer Kleinstadt gedeiht nun neben der klassischen Kulturszene auch eine neue Kreativszene. Agenturleute, Videokünstlerinnen, Game-Entwicklerinnen und Musiker*innen haben sich in günstigen Innenstadtwohnungen eingemietet. Sie verdienen ihr Geld auch mit dem Tourismus, denn sie gestalten Werbekampagnen für das Freizeitbad und für die Klosterkonzerte, entwerfen Logos für Biergärten und Restaurants, designen Homepages für Hotels und Bikeparks, entwickeln Apps für das neue Rufbussystem. Die Kreativen haben aber auch eigene Projekte. Sie gründen Co-Working-Spaces und Hinterhof-Büros. Sie veranstalten kleine Events und bringen sich im Rathaus mit Ideen ein. Die Stadt wiederum hat das Potenzial dieser neuen Klientel erkannt und sie mit offenen Armen aufgenommen: Sie hat schnelles Internet angeschoben, Hürden aus dem Weg geräumt, Projekte bewilligt, Zwischennutzungen erlaubt.

In Destinationen können Kreative eine spezielle Subkultur schaffen, die ihrerseits für den Tourismus zur Attraktion wird

Und was geschieht nun? Der neue kreative Humus in unserer kleinen Stadt lässt die schönsten Blüten treiben. Galerien eröffnen, Festivals finden statt, Artist-Residencies werden veranstaltet. Die kleine Stadt ist nun auch für Sinus-Milieus unter den Urlauber*innen interessant, an die zuvor niemand gedacht hatte. Für diese neuen Zielgruppen müssen neue Angebote geschaffen werden. Wirtschaft und Beschäftigung wachsen. Die durch den Tourismus genährte Kreativwirtschaft hat sich als potenter Treiber für die Regionalentwicklung herausgestellt. Und unsere kleine Stadt? Hat alles richtig gemacht.

An diesem hypothetischen Beispiel lassen sich gut die starken Synergieeffekte zwischen Tourismus und Kultur- und Kreativwirtschaft festmachen. Die beiden Branchen beeinflussen sich stärker, als auf den ersten Blick ersichtlich wäre. Nicht nur wirkt der Tourismus als Arbeitsplatzgenerator für den Kultursektor. Auch umgekehrt entstehen positive Effekte: Die Kreativszene reichert die touristische Basis um neue Attraktionen an und erschließt Zielgruppen, welche wiederum den Tourismus voranbringen. Ein fast perfektes Kreislaufmodell.

Das findet auch Philipp Ernst. Der Artist-Manager und Musikproduzent ist Vizepräsident des Bayerischen Landesverbands der Kultur- und Kreativwirtschaft e. V. (BLVKK). Der 2020 gegründete Verband vertritt die Interessen der Kunst- und Kulturtreibenden in Bayern. Ernst beobachtet schon länger, wie Vertreter*innen der Kreativszene in bestimmten Regionen einen fruchtbaren Nährboden erzeugen. Er sagt: Anders als die klassische Kulturwirtschaft, wo Highlights wie das Konzerthaus Blaibach im Bayerischen Wald unmittelbar als Publikumsmagneten wirken, spielt sich in der Kreativwirtschaft dieser Prozess indirekt ab, hat aber nicht weniger Potenzial. Wie das in real life funktioniere, sagt Ernst, könne man gerade im Fünfseenland erleben. „Da wurde 2022 das Kultur- und Kreativnetzwerk PULSIV gegründet. Es gab dort schon länger Initiativen von Kunstschaffenden. Aber eben keinen institutionalisierten Ansprechpartner.

Die Kooperationsmöglichkeiten sind lange nicht ausgeschöpft

Im Vorstand von PULSIV sitzt auch Daniela Tewes von der Starnberger Gesellschaft für Wirtschafts- und Tourismusentwicklung. Das zeigt schon, dass es hier um die Verknüpfung von Kultur und Tourismus geht.“

Der Tourismus versorgt die Kreativbranche mit Arbeit. Und er gibt ihr Gelegenheit, sich über die Region hinaus zu präsentieren – der ganzen Welt

Auch der BLVKK wolle Kultur- und Kreativwirtschaft und Tourismus enger zusammenbringen und nach neuen gemeinsamen Ideen suchen. Die Kooperationsmöglichkeiten seien noch lange nicht ausgeschöpft. Tatsächlich haben sich nicht nur die Kreativen im Starnberger Land zusammengeschlossen; auch in vielen anderen bayerischen Städten– Würzburg, Bayreuth, Kempten – wurden oder werden gerade Netzwerke geknüpft.

Das Bayerische Wirtschaftsministerium seinerseits hat das Innovationsprogramm „Kreative Zentren“ zur Aufwertung der Innenstädte ins Leben gerufen. „Es wächst das Bewusstsein dafür, dass die Kreativbranche eine Wirtschaftskraft ist. Und für gutes Stadtmarketing unverzichtbar“, sagt Ernst.

Der Tourismus ist für die Kunst- und Kreativwirtschaft in zweierlei Hinsicht wichtig. Er bringt nicht nur Gäste in eine Region, für die man dann Events kreieren, Restaurants bewerben oder ein Konzerthaus bauen kann. Über den Tourismus kann sich eine Region auch der Welt präsentieren. Und das, findet Philipp Ernst, müsse nicht immer nur klassisch-traditionell stattfinden. „Orte, in denen sich eine produktive, kreative Subkultur entwickelt hat, können auch mit zeitgemäßen Produkten zum touristischen Erlebnis beitragen. Das nimmt den traditionellen touristischen Anbietern nichts weg“, findet der Kulturmanager.

In Hof kann man sich ein Bild davon machen, wie synergetisch Kreativwirtschaft, Tourismus und Stadtmarketing zusammenfinden können: Dort wurde in einem Leerstandslokal der Concept-Store „SOUVENIR Hof“ eingerichtet. Bestückt mit Arbeiten von über 30 regionalen Designerinnen und Künstlerinnen. Der Laden belebt die Altstadt, begeistert die Tourist*innen und verschafft den Kreativen der Region einen zusätzlichen Absatzmarkt. Besser geht es kaum.

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