Iphofen setzte auf Tourismus, um seine Winzer*innen für die Zukunft fit zu machen. Und überzeugt heute als Paradebeispiel für bestens koordiniertes Tourismus-, Stadt- und Agrarmarketing
Das Wunder von Iphofen
Annette RübesamenAutorin
Ortstermin in Iphofen, Franken. Jenseits der wuchtigen Stadtmauer ziehen sich Weinberge in die Höhe. Diesseits schlängeln sich Kopfsteinpflastergassen zwischen romantischen Fachwerkhäusern durch. Jedes Hoftor, jeder Fensterladen, jede Glyzinie, jeder Wirtshausschriftzug trägt die Handschrift liebevoller Sorgfalt. Den Marktplatz schließt ein Barockpalais mit prächtiger Doppeltreppe ab. Schräg gegenüber beugt sich ein Schustermeister in seinem Laden über seine Maßanfertigungen. Es ist nicht der einzige Handwerksbetrieb hier; in den Nachbargassen könnte man sich auch einen Sessel beziehen oder Visitenkarten drucken lassen. In der Eisdiele sitzen Mütter mit ihren Kindern, während vor dem Romantik-Hotel an der Bahnhofstraße Abreise angesagt ist. Ein Tesla mit Kölner Kennzeichen, den Kofferraum voll mit Weinkartons, wird noch mit Koffern beladen. Dann surrt er davon.
Iphofen fühlt sich an, als spaziere man durch den Tagtraum jedes Stadt- und Destinationsmanagements. Doch Moment mal: War hier nicht mal Krise, Stillstand, Verfall? „Allerdings!“, sagt Josef Mend, Altbürgermeister von Iphofen, und bittet zum Gespräch in die kommunale Vinothek, eine moderne Glas-Naturstein-Konstruktion, die reizvoll mit dem historischen Umfeld kontrastiert. Auch Claudia Bellanti, Leiterin Tourismus, Kultur und Wirtschaftsförderung von Iphofen, sowie Dr. Hermann Kolesch, Präsident a. D. der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau in Veitshöchheim, sind gekommen, um mit uns über die Strategie zu sprechen, die das 4.500-Einwohner-Städtchen zu einem Schatzkästchen mit restaurierter Altstadt, Vollbeschäftigung, beneidenswerter touristischer Auslastung und zufriedenen Einheimischen gemacht hat. Eine Strategie, bei der Stadtentwicklung, Agrarwirtschaft und Tourismus Hand in Hand offenbar in die richtige Richtung marschiert sind. Hat Iphofen heute noch Probleme? Mend, Bellanti und Kolesch müssen nachdenken, bevor ihnen etwas einfällt. „Die Parksituation könnte besser sein.“
Um die Winzerbetriebe fit für die Zukunft zu machen, gab es nur eine Lösung – den Tourismus anzukurbeln
Iphofen, der Tagtraum jedes Destinationsmanagements
Doch der Reihe nach. Der Weinort Iphofen hatte gute Zeiten bis gegen Ende der 1980er-Jahre. Danach kriselte es beim Frankenwein. Prosecco und Pinot Grigio machten ihm Konkurrenz; er galt als altmodisch. Die Kleinbetriebe rund um Iphofen lebten damals vom heimischen Markt; die Direktvermarktung verlief altbacken. „Wir begriffen, dass wir uns modernisieren mussten. Und dass wir die Kleinbetriebe nur fit für die Zukunft machen konnten, indem wir den Tourismus ankurbelten“, erzählt Josef Mend. Es schlug die Stunde für Dr. Kolesch, einen Experten für Strukturentwicklung im Weinbau. Er überzeugte die Iphöfer Kleinwinzer*innen davon, ihre eigenen Profitcenter zu entwickeln: Gästezimmer, Heckenwirtschaften, Events. „Der Tourismus hält die Wein-Wertschöpfung in der Region“, ist Kolesch überzeugt.
Die Vinothek beförderte das Frankenwein-Image in die Gegenwart
Klar war aber auch, dass die Stadt selbst sich ändern musste. „Wir hatten diese tolle Stadtkulisse, aber die Häuser verfielen und die jungen Menschen zogen in Neubaugebiete“, erinnert sich Altbürgermeister Mend. „Diesen Trend haben wir umgekehrt. Zunächst durch den Bau der Vinothek. So etwas Modernes gab es damals in ganz Franken nicht. Die Vinothek hat das Image des fränkischen Weins in die Gegenwart katapultiert, hat einheimische Bauherren inspiriert.
Ohne Tourismus wäre Iphofen ein langweiliger Wohnort
Hier probieren Gäste unsere Weine und besuchen Events wie die ‚Weinfreundschaften‘. Auch die Einheimischen kommen, Winzer treffen sich, es entsteht ein Gemeinschaftsgefühl.“ Die Fachwerkhäuser wurden saniert. Bauherr*innen erhielten Förderungen, wurden fachlich und ästhetisch beraten. Heute sind 70 Prozent der Altstadt restauriert. Es gibt keinerlei Leerstand, dafür viele Geschäfte, und die Nachfrage junger Leute nach Altstadtwohnungen ist unerhört groß. Mission erfüllt.
Und der Weintourismus? Läuft – denn klar, nun bietet er Infrastruktur, Veranstaltungen, Genuss vor fabelhafter Kulisse. Er sorgt für 300 bis 400 Vollarbeitsplätze und, nicht ganz unwichtig, für Stimmung, Weltläufigkeit und Atmosphäre im Ort. „Ohne Tourismus wären wir ein langweiliger Wohnort mit weniger offenen Menschen“, sagt Bellanti. Ihr ist wichtig, dass auch die Einheimischen einbezogen werden. „Wir nehmen die Vereine bei unseren Veranstaltungen mit, richten uns mit unseren Events immer auch an die Bewohner.“
Zu den Veranstaltungen kommen auch Einheimische, Winzer*innen treffen sich, es entsteht ein Gemeinschaftsgefühl
Selbst die Tourismus-Info auf dem Stadtplatz sei für die Einheimischen mitgedacht, denn die bekämen hier alle möglichen Infos aus der Stadtverwaltung, erzählt Bellanti stolz. „Die Einheimischen sind jetzt wieder stolz darauf, in Iphofen zu leben. Und weil wir in touristische Infrastrukturen investiert haben, kommen unsere Kinder nach ihrer Ausbildung auch wieder in die Stadt zurück. Denn hier gibt es Perspektiven.“