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{{postCount}} Lebensraum statt Urlaubsort: Tourismus made in Ostallgäu

Lebensraum statt Urlaubsort: Tourismus made in Ostallgäu

Sebastian Gries, Geschäftsführer des Tourismusverbandes Ostallgäu, ist überzeugt, dass Gäste und Einheimische oft das Gleiche wollen. Zum Beispiel Erholung und Begegnung. Wie es gelingt, dass alle profitieren, und warum die Marke Allgäu so wichtig ist, verrät er hier

© Christian Greither
Sebastian Gries ist seit vier Jahren Geschäftsführer des Tourismusverbandes Ostallgäu e. V. Gäste und Einheimische haben ihm zufolge sehr ähnliche Bedürfnisse.

Herr Gries, welche Maßnahmen haben Sie gemeinsam im Ostallgäu ergriffen, um sicherzustellen, dass Gäste und Einheimische gleichermaßen vom Tourismus profitieren?

Unser Ansatz ist, dass guter Tourismus zuerst den Einheimischen nutzt. Tourismus bringt viele positive Effekte für das Leben in der Region, aber auch Herausforderungen. Um die Vorteile zu verstärken und die Nachteile zu mindern, haben wir 2022 eine Kampagne zum Thema Tourismusakzeptanz gestartet. Mit dem „Wir-Magazin“, dem ersten touristischen Magazin für Einheimische, informieren wir über die Bedeutung des Tourismus für unsere Region. Mit der Allgäuer Zeitung haben wir außerdem die Serie „Heimatentdecker“ entwickelt. Ein Jahr lang, immer samstags, gab es hier touris­tische Tipps speziell für Einheimische. Zudem haben wir fünf Imagefilme für Social Media gedreht: zu Themen wie Tourismus und Handwerk, Naturschutz, Familie, Mobilität und Gastronomie. Unsere Botschaften verbreiteten wir auch über Großflächenplakate und unser Online-Magazin. So erreichten wir einen großen Teil unserer 140.000 Einheimischen.

Einheimische und Gäste haben manchmal unterschiedliche Bedürfnisse. Wie lösen Sie mögliche Bedürfniskonflikte?

Die Bedürfnisse sind oft ähnlich, kommen aber aus unterschiedlichen Ausgangssituati­onen — Alltag und Urlaub. Es geht um Ressourcen wie Raum, Ruhe oder auch ganz praktisch Plätze in der Gastronomie. Darum stärken wir den Ganzjahrestourismus. Das heißt bei­spielsweise: Spitzenzeiten entlasten und schwächere Saisonzeiten fördern. Wir kommunizieren außerdem weniger bekannte, aber tourismusverträgliche Ziele und entwickeln neue Angebote mit Gemeinden und Betrieben wie die Allgäuer Logenplatzroute, die Druck vom alpinen Raum nehmen soll. Die Bedürfnisse und Wünsche der regionalen Bevölkerung stehen dabei immer im Vordergrund. Sehen Sie, letztendlich geht es bei all dem darum, ein harmonisches Miteinander zu schaffen, bei dem alle von den gemeinsamen Ressourcen profitieren. Denn am Ende des Tages will niemand an der Ampel im Stau stehen oder mehr für steigende Lebenshaltungskosten bezahlen.

Die Wünsche der regionalen Bevölkerung stehen immer im Vordergrund.

Es braucht Orte, Institutionen und Abläufe, um die Wünsche der Bevölkerung zu hören. Welche Strukturen haben Sie ins Leben gerufen? Und wie funktionieren diese?

In unserem Verband, dessen Vorsitz Landrätin Maria Rita Zinnecker innehat, gibt es Gremien, in denen die Gemeinden beteiligt sind. Unsere Tourismusstrategie entwickelten wir in einem partizipativen Prozess mit Interessenvertretungen aus Tou­rismus, Naturschutz, Wirtschaft, Ehrenamt und Gesellschaft und vielen wei­teren. Bei konkreten Frage­stellungen ziehen wir Partner wie das Institut für Nachhaltige und Innovative Tourismus­entwicklung der Hochschule Kempten sowie das Bayerische Zentrum für Tourismus hinzu. Mit diesen haben wir auch repräsentative Befragungen der einheimischen Bevölkerung und der Gäste durchgeführt. Wir sind in den Sozialen Medien aktiv und versuchen, für alle erreichbar zu sein. In unserer Netzwerkarbeit beziehen wir Vertreter beispielsweise aus Landwirtschaft, Verbänden oder Naturschutz je nach Aufgabenstellung mit ein. Das Tourismusforum des Landkreises dient zusätzlich als Netzwerkplattform für relevante Themen. So können wir flexibel auf konkrete Fragestellungen reagieren.

Wie messen Sie den Erfolg Ihrer Bemühungen?

2022 haben wir eine Ist-Zustandsmessung zur Tourismusakzeptanz durchgeführt, die über statistische Daten hinaus auch qualitative Daten erhoben hat. Fragen wie „Welche Bedeutung hat der Tourismus in Ihrem Alltag?“ oder „Wie zufrieden sind Sie mit dem Leben in der Region?“ Allerdings sind solche Messinstrumente aufwendig und kostspielig, daher planen wir die nächste Messung erst für 2026. Die Nullmessung war quasi unser Startpunkt.

Wie schaffen Sie es, dass sich die Einheimischen für den Tourismus begeistern und sich mit ihm identifizieren?

(lacht) Die Menschen in der Region haben eine unglaublich starke Identifikation mit dem Allgäu. Sie sind bodenständig und stolz auf ihre Heimat. Das merkt man allein schon bei der Frage: „Wo kommst Du her?“ Da wird oft erst der Ort genannt, doch es folgt meist: „Ich bin Allgäuerin oder Allgäuer.“ Das liegt auch daran, dass die Einheimischen mit einem Tourismus groß geworden sind, der natürlich gewachsen ist. Hinzu kommt die starke Marke „Allgäu“, repräsentiert durch das Logo mit dem blauen Quadrat und dem weißen Schriftzug. Sie ist keine rein touristische Marke, sondern auch eine Standortmarke und steht für den gesamten Lebensraum. Dem Logo begegnet man überall: in Betrieben, in Supermärkten, bei Bergbahnen, in Hotels, in Behörden oder auch im ÖPNV. Die Marke „Allgäu“ ist ein integraler Bestandteil des täglichen Lebens geworden, was eine starke Verbindung zwischen der Region, den Einheimischen und dem Tourismus erzeugt. Umfragen haben gezeigt, dass sie zu den stärksten Marken im deutschen Tourismus gehört.

Welche Herausforderungen sehen Sie in den kommenden Jahren?

Mobilität ist ein großes Thema. Unsere Region wird als Naherholungsziel für die Ballungszentren attraktiver. Das bedeutet, dass die An- und Abreise der Gäste sowie das Mobilitätsverhalten der Einheimischen nachhaltiger gestaltet werden müssen. Auch die Klimaveränderung wird spürbar. Extremwetterereignisse beeinträchtigen bei­spielsweise Outdoor-Aktivitäten. Bereits jetzt berücksichtigen wir klimarelevante Parameter bei unserem Moni­toring des Wander- und Radwegenetzes. Dazu zählen Schutzmöglichkeiten bei Unwettern, Trinkwasserstellen oder schattige Wege bei hoher Sonneneinstrahlung.

Sie arbeiten mit dem Begriff „Lebensraum“, was bedeutet er in Bezug auf das Ostallgäu?

Lebensraum ist für uns der Raum, in dem Menschen ihren Alltag verbringen, arbeiten und ihre Freizeit gestalten. Er umfasst die dauerhafte Heimat der Einheimischen und den temporären Aufenthaltsort der Gäste. Für das Ostallgäu verstehen wir darunter einen Raum mit hoher Lebensqualität. Wir verwenden bewusst den Begriff „Freizeittourismus“. Denn die Bedürfnisse von Einheimischen und Gästen unterscheiden sich in der Freizeit kaum. Alle nutzen Gastronomie, Handelsinfrastruktur, die Natur oder auch Mobilitätsangebote. Da gibt es Orte und Zeiten, die mehr Steuerung und Management benötigen. Insgesamt sehen wir jedoch, dass der Tourismus unserer Region enorm guttut und zur Lebensqualität beiträgt.

Hier finden Sie das Wir-Magazin aus dem Ostallgäu.

© Christian Greither