Inhalt
{{postCount}} Einfach himmlisch

Einfach himmlisch

Das Fränkische Seenland ist ein gelungenes Beispiel, wie aus einer strukturschwachen, landwirtschaftlichen Region ein blühendes Urlaubs- und Freizeitparadies entstehen kann — von dem alle profitieren: Einheimische, Gäste und die Natur. Ein Besuch in der künstlich erschaffenen Seenwelt im einst wasserarmen Mittelfranken

 

Michaela Strassmair Autorin

Die Sonne lacht vom weiß- blauen Himmel, das Wasser glitzert. Rund 1.000 Menschen stehen am Ufer. Es ist Freitag, der 1. August 1986. Ein Tag, den Volker Sanwald, damals 18 Jahre alt und Azubi zum Reiseverkehrskaufmann, und Horst Bieswanger, künftiger Geschäftsführer des Tourismusverbandes Fränkisches Seenland, nie vergessen werden. Zur Einweihung des Altmühlsees gleitet der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß in einem Motorboot, begleitet durch ein weißes Schwanentretboot, über den See.

© Zweckverband Altmühlsee/Stadtarchiv Gunzenhausen
Ministerpräsident Franz-Josef Strauß weihte den Altmühlsee im August 1986 ein

„Ein Bild für Götter“, erinnert sich Bieswanger. Der heute 84-Jährige steht auf einem Steg, schaut auf den Kleinen Brombachsee und schmunzelt. Sandstrände schimmern zwi­schen Kiefern- und Fichten­wäldern am Seeufer. Windsurfer tanzen elegant über das Wasser. „Mittlerweile ist alles so harmonisch in unsere Hügellandschaft eingewachsen, dass Touristen gar nicht merken, dass die Seen künstlich erschaffen wurden — erst, wenn sie die Staumauer zwischen dem Kleinen und Großen Brombachsee sehen“, sagt Bieswanger.

Das Seenland ist ein Projekt mit großem Weitblick.

Hans-Dieter Niederprüm, Geschäftsführer Tourismusverband Fränkisches Seenland
© Nick Harwart
Hans-Dieter Niederprüm, Geschäftsführer Tourismusverband Fränkisches Seenland & Horst Bieswanger, ehemaliger Geschäftsführer.

Eine Region setzt auf Tourismus. Und gewinnt

Der Große Brom­bachsee ist der größte und tiefste der sieben fränkischen Seen. Im Jahr 2020 wurde er als letzter vollständig geflutet. Der erfolgreiche Abschluss des größten wasserwirtschaftlichen Projekts Deutschlands im 20. Jahrhundert. Zugleich Startschuss für eine bemerkenswerte Transformation: von einer strukturschwachen Agrarregion zu einem belieb­ten Urlaubs­- und Naherholungsgebiet in Bayern. Das Hauptziel des Projekts bestand darin, die Wasserverteilung zwischen dem wasserreichen Südbayern und dem niederschlagsärmeren Nordbayern auszugleichen. 1970 begann die Umsetzung dieses visionären Plans. In der letzten Sitzung vor der Sommerpause stimmte der Bayerische Landtag dem Projekt einstimmig zu. Die Abgeordneten scherzten mit ihrem fränkischen Kollegen, dass er nun endlich seine Weiher bauen könne, weiß Horst Bieswanger.

Die Region hat auf Tourismus gesetzt, und das hat sich gelohnt.

Horst Bieswanger, ehemaliger Geschäftsführer

Freier Seezugang für alle

„Ein Glücksfall für uns, wie ein Lottogewinn“, jubelt Volker Sanwald, dessen Outdoor-Event-Unternehmen am Kleinen Brombachsee sitzt. Denn im Landtagsbeschluss stand auch, dass die Wasserspeicher für die Erholung erschlossen und frei zugänglich sein müssen. Das bedeutet: Jeder kann Strände, Liegewiesen und Uferwege nutzen, da die Wasser- und Uferflächen öffentlich sind. „Das ist heute unser Alleinstellungsmerkmal“, bestätigt Hans-Dieter Niederprüm und deutet auf eine Liegewiese mit Schatten spendenden Bäumen am Kleinen Brombachsee. Seit 2009 leitet er den Tourismusverband Fränkisches Seenland und trat damit die Nachfolge von Horst Bieswanger an.

Aber zurück zu den Anfängen. Zur Entstehung von Seen mitten in einem landwirtschaftlichen Gebiet. Der Boden war trocken und sandig, die Menschen konnten gerade so von Hopfen und Kartoffeln leben. Es gab wenig Perspektiven, viel Abwanderung. Deshalb fand das Großprojekt hohe Zustimmung in der Bevölkerung. Obwohl Felder und elf Mühlen im Wasser versanken, Landflächen verloren gingen und Menschen umsiedeln mussten. „Die Leute hier sahen die Seen als Chance für ihre persönliche Zukunft und für die Zukunft der Region“, erklärt Horst Bieswanger. Niemand konnte damals ahnen, dass diese Hoffnung sogar übertroffen werden würde. Während Stau­dämme und Löcher für die Seen entstanden, begann die Arbeit am Strukturwandel. Von der Landwirtschaft zum Tourismus. „Experten aus diversen Fachbereichen und die Bevölkerung waren beteiligt, gemeinsam“, betont Bieswanger. Der Tourismusverband, drei Zweckverbände und eine Seenberatungsstelle entstanden. Letztere half Land­wirtinnen und Bauern, sich ein neues Standbein im Tourismus aufzubauen. „Alles war neu für uns. Deshalb gab es Servierkurse oder Tipps zur Ferienwohnungseinrichtung“, erinnert sich Bieswanger. Das Angebot fand großen Anklang.

© Nick Harwart
Volker Sanwald, Geschäftsführer von SAN-aktiv-TOURS erkannte früh die Chance des Tourismus

Ein Glücksfall wie ein Lottogewinn.

Volker Sanwald, Tourismuspionier

Volker Sanwald war mit 18 Jahren Azubi zum Molke­reifachmann in Triesdorf. Er schulte zum Reiseverkehrs­kaufmann um und eröffnete eine Fahrradvermietung in einem Kartoffelkeller in Aha bei Gunzenhausen. Zur Verwunderung vieler. „Mir hat es schon immer gefallen, etwas auszuprobieren und zu ent­wickeln“, schmunzelt er, während er in Lederhosen durch sein „SAN-shine-CAMP“ am Kleinen Brombachsee geht. Hier ein Lagerfeuerplatz, dort Trapperhütten, eine Grillstation und eine Bogenschießanlage.

Hohe Akzeptanz in der Bevölkerung

Ein beeindruckendes Outdoor- und Eventgelände. Bis zu 40 Mitarbeitende beschäftigt er in seinem Fami­lienunternehmen, das mittler­weile 800 Fahrräder sowie Kanus und Kajaks vermietet. „Volker hat schon immer Sachen gewagt, vor denen andere zurückschrecken. Er besitzt den Weitblick, dem wir vom Tourismusverband gerne folgen“, bestätigt Hans-Dieter Niederprüm. Als Beispiel nennt er Sanwalds Einführung von E-Bikes, als diese noch belächelt wurden. Daraufhin errichtete der Tourismusverband rund um die Seen Ladestationen, was sich  als kluge Investition erwies. Der umtriebige Pionier der ersten Tourismusgeneration ist seiner Zeit auch in puncto Ganzjahrestourismus voraus. „Das Geschäft an den Seen ist sehr saisonal und beschränkt sich auf die Monate von April bis Ende September.

© erlebe.bayern / Bernhard Huber
Infrastruktur dank Tourismus: Vom Sandstrand bis zum Tretboot

Ganzjahrestourismus im Fokus

Um wetterunabhängig zu sein und auch im Winter Einnahmen zu generieren, haben wir die Brombachseer Winterhütten und ganzjährig freitagabends und sonntagnachmittags Livekonzerte bei freiem Eintritt mit Musikern aus der Region.“ Damit lockt er nicht nur Tagesgäste, sondern auch Einheimische an. Selbst an verregneten Tagen zählt er bis zu 100 Gäste in seinem Camp.

Apropos Einheimische: Sie sind die großen Gewinner des Projekts, bekräftigen die drei Touristiker übereinstimmend. „4.800 Vollzeitarbeitsplätze wurden in den drei Seen-Landkreisen geschaffen“, bestätigt Niederprüm. „Die Lebensqualität hat sich enorm verbessert. Wir profitieren von der neu geschaffenen Infrastruktur genauso wie die Touristen“, fügt Sanwald hinzu. Die Beliebtheit der Gegend zeigt sich nicht nur an den stetig steigenden Gästezahlen, sondern auch am Zuzug in den vergangenen Jahren. So wuchs der Ort Absberg am Kleinen Brombachsee von 800 auf 1.200 Einheimische. Hier ist auch Mike Mülhausen aufgewachsen, der mit seiner Frau Michaela zu den jungen Gastgebenden in der Region zählt. Im zehn Minuten entfernten Dorf Eichenberg stellt er einen Eimer mit Äpfeln auf die Terrasse seines Gartenchalets. Das Paar hat aus einem alten Ferienhof eine lässig-luxuriöse Unterkunft geschaffen, den „Ferienhof Eichenberg“. Neun Ferienwohnungen, Spa, Outdoor Naturwasserpool, Blick auf die Fränkische Alb — familienfreundlich, nachhaltig.

© Nick Harwart
Michaela und Mike Mülhausen gehören zur Generation der jungen Gastgebenden

Ohne diese Seen wären wir wohl heute nicht hier.

sagt Michaela Mülhausen, Gastgeberin.

Das Paar, sie Beamtin, er Wirtschaftsingenieur, wagte den Sprung ins kalte Wasser. Ohne Vorerfahrung verwirk­lichten sie ihr Urlaubspara­dies. „Das Fränkische Seen­land durchläuft einen Gene­rationenwechsel.

Einheimische profitieren an erster Stelle

Wir freuen uns über die tollen Projekte, die junge Leute ins Leben rufen“, sagt Niederprüm. „Unser Seen­land hat viele wunderschöne Plätze, um die Natur zu genießen“, bemerkt Mike. Damit nennt er einen weiteren Profiteur des Projekts: die Natur. Um den Verlust an Lebensraum auszugleichen, wurden Naturschutzgebiete von etwa 5,4 Quadratkilo­me­tern eingerichtet. Ein Beispiel ist die Vogelinsel am Altmühlsee, die als Rückzugszone für 300 Vogelarten dient. Sie nimmt fast die Hälfte der Seefläche ein. Und die intakte Natur tut wiederum dem Tourismus gut, ermöglicht Slow-Travel- und Feel-Good-Angebote: mit und in der Natur des Seen­landes.

© erlebe.bayern / Bernhard Huber
Der Wakepark Brombachsee, gehört zu den beliebtesten Freizeitspots
Drei Lehren aus dem Projekt

Ganzheitliche Entwicklung:

Anfangs konzentrierte man sich nur auf die Seen. Heute stehen drei gleichwertige Elemente im Fokus der touristischen Strategie: Fränkisch, Seen und Land. Das neue Leitbild von 2022 umfasst alle Aspekte der Region, einschließlich der typisch fränkischen Architektur, Kultur und ländlichen Umgebung.

Ganzjahrestourismus:

Erst in den letzten 15 Jahren erkannte man, dass die Region auch außerhalb der Badesaison touristisches Potenzial hat. Mit einem breiteren Angebot wie Winterwanderwegen, Schifffahrten bis Dezember stiegen auch die Übernachtungszahlen im Winterhalbjahr deutlich an. Von September 2022 bis März 2023 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um mehr als 30 Prozent.

Barrierefreiheit: 

Inklusivität und Zugänglichkeit lohnen sich, wenn sie zentrale Elemente der Tourismusstrategie sind. Als Gründungsmitglied der Arbeitsgemeinschaft „Leichter Reisen — Barrierefreie Urlaubsziele in Deutschland“ legt man darauf schon seit mehr als 16 Jahren großen Wert. Die Region ist auch eine von zehn bayerischen Pilotregionen für das Projekt „Reisen für alle“.

Zahlen, bitte

Das Seenland auf einen Blick

Der Bayerische Landtag genehmigte 1970 einstimmig das Jahrhundertprojekt, das nach 30 Jahren Bauzeit im Jahr 2000 fertiggestellt wurde. Gesamtkosten: rund 665 Millionen Euro.

Das Fränkische Seenland erstreckt sich 0 km

von Ost nach West und 40 Kilometer von Nord nach Süd.

Die insgesamt sieben Seen bringen es auf eine Wasserfläche von rund 0 Quadratkilometern
Die Übernachtungszahlen stiegen zwischen 1983 und 2016 um rund 0 Prozent.

2023 wurden rund 1,3 Millionen Übernachtungen verzeichnet.

Etwa 0 Vollzeitarbeitsplätze

in den drei Seen-Landkreisen Weißenburg-Gunzenhausen, Roth und Ansbach hängen mit dem Tourismus zusammen.

2023 betrugen die Einnahmen aus dem Tourismus 0 Millionen Euro.

Das sind 19,3 Prozent mehr als 2017.

Neben dem Gastgewerbe profitieren auch andere Bereiche von den Gästen. 2023 betrug der Anteil des Einzelhandels am Umsatz durch die Gäste 0 Prozent.

Im Dienstleistungssektor lag der Anteil bei 19,3 Prozent.

Durch das Seenland sind rund 0 km

Radwege und 1.500 km Wanderwege entstanden.

Die Geschichte des Fränkischen Seenlandes erzählt auch diese 45-minütige SWR-Dokumentation:

Bitte klicken sie hier um Inhalte von Youtube anzuzeigen.
Youtube setzt Cookies in ihrem Browser. Hier erfahren sie mehr über Youtubes Datenschutz

Youtube anzeigen

© Joachim Negwer / CMR, Zweckverband Altmühlsee / Stadtarchiv Gunzenhausen, Nick Harwart (2), erlebe.bayern / Bernhard Huber, Nick Harwart, erlebe.bayern / Bernhard Huber