Doch welche Alternativen haben wir? Bereits jetzt gibt es eine Reihe neuer Denkschulen, Richtlinien und Modelle, nach denen Wirtschaft und Gesellschaft künftig funktionieren könnten, um die drohende Klimakatastrophe abzuwenden.
Das große Ziel ist eine Wirtschaft, die sich statt am Profit am Gemeinwohl orientiert. Und damit allen guttut
Der Soziologe Harald Welzer sagt auf die Frage, welche Art des Wirtschaftens jetzt angesagt sei: „Unternehmen können sich dafür entscheiden, andere Kriterien anzulegen als Gewinnmaximierung um jeden Preis. Ich bin nicht gegen Kapitalismus. Ich kann mir tatsächlich keine Wirtschaft vorstellen, die ohne unternehmerisches Handeln funktioniert. Aber die Ziele können sich beispielsweise auch am Gemeinwohl orientieren.“
Klimaneutral – es ist das Adjektiv der Stunde. Klimaneutrale Lebensmittel und Drogerieprodukte, Kleidung und Waschmittel, Wandfarben und Wundermittel füllen Regale und Onlineshops. Dazu zirkulieren jede Menge Labels und Siegel, die Klimaneutralität zertifizieren. Klingt erst mal gut – man kauft, produziert oder lebt etwas, das das Klima zwar nicht verbessert, aber wenigstens nicht dazu beiträgt, es zu verschlechtern. Doch was genau steckt hinter einer klimaneutralen Hotelübernachtung, Kartoffelsuppe, Stadt? Hier gilt es, verschiedene Ausprägungen zu unterscheiden.
CO2-Neutralität: Der ständig wachsende CO2-Ausstoß stellt vermutlich das größte Problem für das Weltklima dar. Seit Beginn der Industrialisierung setzt der Mensch bei der Verfeuerung fossiler Brennstoffe wie Kohle, Öl und Erdgas große Mengen Kohlendioxid frei. Das geschieht bei der Stromerzeugung, in Produktionsprozessen, beim Heizen, in Verbrennungsmotoren. Oder auch bei der Müllverbrennung. Hinzu kommt das CO2, das aus trockengelegten Mooren und tauenden Permafrostböden entweicht.
Treibhausgasneutralität: Zu Treibhauseffekt und Erderwärmung tragen neben dem CO2 noch weitere Gase bei. Vor allem Methan, das bei Bohrungen aus der Erde entweicht oder auch beim Weitertransport von Öl und Gas. Geflutete Reisfelder setzen ebenfalls Methan frei – und Wiederkäuer, insbesondere die großen Rinderherden, die den Fleischhunger der Menschen befriedigen sollen. Zu den klimarelevanten Gasen in der Atmosphäre zählen außerdem Lachgas sowie einige fluorierte Gase, die für technische Prozesse hergestellt oder dabei freigesetzt werden. Bei einem treibhausgasneutralen Produkt wurden also weder CO2 noch sonstige Treibhausgase freigesetzt oder besser, sie wurden entsprechend kompensiert.
Weil sich Methan & Co. technisch nur sehr aufwendig der Atmosphäre entziehen lassen, wird entsprechend mehr CO2 kompensiert. Treibhausneutralität bewirkt also mehr gegen den Klimawandel als reine CO2-Neutralität.
Klimaneutralität: Der schwammigste Begriff in der Diskussion um die Rettung des Planeten – und zugleich auch der beliebteste. Wissenschaftlich betrachtet wäre sie die ambitionierteste Lösung. Denn der Begriff impliziert, dass hier sämtliche Effekte menschlichen Handelns, die auf das Klima einwirken, vollständig ausgeglichen werden. So müsste für echte Klimaneutralität bei Flügen auch die wärmende Wirkung von Kondensstreifen berechnet und kompensiert werden. In der Praxis allerdings wird der Begriff der Klimaneutralität so beliebig verwendet, dass man sich nie sicher sein kann, was genau darunter verstanden wird. Wer sich für den eigenen Betrieb oder die eigene Produktion eine entsprechende Zertifizierung zulegen möchte, sollte sich also genau informieren, was die ausgebende Organisation konkret darunter versteht.
Emissionsfreiheit: Was sich so schön sauber und gesund anhört, ist in Wirklichkeit die schwächste aller Freiheiten. Denn hier geht es nur darum, dass ein Transportmittel – Auto, Flugzeug, Schiff etc. – im laufenden Betrieb keine Schadstoffe in seine unmittelbare Umgebung abgibt. Was in dieser Rechnung jedoch nicht inbegriffen ist, ist der gesamte Produktionsprozess, angefangen bei der Suche nach Rohstoffen über ihre Gewinnung bis hin zu Verarbeitung und Weiterverarbeitung, mit allen Schritten und Energieformen, die dazu nötig sind. Dazu kommt noch der Betrieb der Autos und die Entsorgung am Ende ihres Lebenszyklus. Emissionsfreiheit ist schön und gut, leistet aber letztlich nur einen sehr kleinen Beitrag für eine bessere Zukunft.
Felber fand, dass man neue Formeln brauchte, um wirtschaftlichen Erfolg zu beurteilen. Denn mit „Finanzrenditen für Investitionen, mit dem Finanzgewinn für Unternehmen oder dem Bruttoinlandsgewinn für die Volkswirtschaft messen wir zwar die Mittelverfügbarkeit oder sogar die Mittelakkumulation, aber nicht die Ziel-Erreichung“. Menschliche Kreativität müsse in die Mehrung des Gemeinwohls fließen. Generalthema der Gemeinwohl-Ökonomie ist eine ethische Marktwirtschaft, deren Ziel nicht die „Vermehrung von Geldkapital ist, sondern das gute Leben für alle“ sowie die Verpflichtung auf Menschenwürde, Menschenrechte und ökologische Verantwortung. Die Schritte dahin gibt eine „Gemeinwohl-Matrix“ vor.
Anhand dieser Matrix erstellen die Unternehmen ihre Gemeinwohl-Bilanz, die extern geprüft und veröffentlicht wird. In einer idealen Gemeinwohl-Volkswirtschaft erhalten die Unternehmen zum Ausgleich für ihren Einsatz Steuervorteile, Kredit- und Handelserleichterungen. Weil die Gewinne dem Unternehmen dienen und nicht externen Investor*innen, fällt der Renditedruck weg; die Unternehmer*innen gelangen zu Freiräumen, die sie gestalten können. Der Drang zum Wirtschaftswachstum schwindet.
Kann das funktionieren? Die GWÖ-Community antwortet mit einer Zahl: Über 600 Unternehmen in Europa und ganz Amerika hätten bereits Gemeinwohl-Bilanzen erstellt. Erste Gemeinwohl-Gemeinden und -Regionen seien in der Entstehung begriffen.
Wissenschaftler*innen der Universitäten Flensburg und Kiel haben einige dieser Unternehmen analysiert, darunter zum Beispiel die Öko-Bäckerei „Märkisches Landbrot“ mit 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Bei der Zertifizierung nach der GWÖ-Matrix erreichte der Betrieb vor drei Jahren bereits 773 von 1.000 möglichen Punkten. Ein guter Wert, erzielt unter anderem durch die Verwendung regionaler Rohstoffe von Demeter-Qualität, durch eigene Brunnen, eine Photovoltaik-Anlage auf dem Dach und soziale Vorteile für die Beschäftigten mit einem Mindestlohn, der über der Norm liegt. Denn Punkte gibt es nur, wenn ein Betrieb über den gesetzlichen Rahmen hinaus nachhaltig wirtschaftet. Schulungen der Chef*innen beispielsweise zählen nicht, denn die Gemeinwohl-Ökonomie geht davon aus, dass die ohnehin notwendig sind. Der Landbrot-Geschäftsführer wurde stattdessen nach den Schulungsstunden für die Reinigungskraft gefragt.
Er war erstmal überrascht – fand es dann aber „gut, dass man solche Anstöße bekommt“. Punkte erhielten die Bäcker auch dafür, dass sie ihr Brot zu moderaten Preisen anbieten.
Als Prüfer der Gemeinwohl-Bilanz werden externe, unabhängige Experten berufen. „Das System ist extra so aufgebaut, dass keinerlei Geschäftsbeziehung zwischen Auditor und Unternehmen besteht“, sagt Nils Wittke, früher Umweltbeauftragter bei Ikea und heute Unternehmensberater. Die Kriterien seien auch wesentlich umfassender als etwa bei gängigen Fairtrade- oder Biosiegeln. Dennoch haben sich auch etablierte Unternehmen zur Gemeinwohl-Ökonomie bekannt, darunter die Münchener Sparda-Bank, der Outdoor-Spezialist VauDe, die Krankenkasse Pro Vita. Das oberbayerische Kirchanschöring will die erste Gemeinwohl-Gemeinde Deutschlands werden, Stuttgart hat für zwei Kommunalbetriebe eine GWÖ-Bilanz erstellen lassen. Das Berliner Büro für Tourismus und Regionalberatung (BTE) hat mittlerweile schon seinen zweiten Gemeinwohl-Bericht vorgelegt. Dem BTE zufolge unterstützen mehr als 2.000 Unternehmen die Gemeinwohl-Ökonomie. Im Tourismus seien es vor allem Nachhaltigkeitsvorreiter wie das Landgut Stober in Brandenburg und zahlreiche Hotels in Südtirol, darunter auch noble Viersternehäuser wie das „La Perla“ in Corvara. Für viele Touristiker*innen ist Gemeinwohl-Orientierung ohnehin kein Fremdwort, gilt es doch Mitarbeiter*innen zu gewinnen und zu motivieren, vor Ort gute Nachbarschaft zu pflegen und den Kund*innen ein Erlebnis zu bieten, von dem sie noch lange schwärmen.
Schon in den 1980er-Jahren mahnten die Grünen: „Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt.“ Damals bedurfte es noch eines ganzen Satzes, um den Menschen ihre Verantwortung für die Natur und unseren Planeten als Heimstatt deutlich zu machen. Der Begriff der „Enkeltauglichkeit“ fasst diesen Satz in einem einzigen Wort zusammen, ist zugleich bildhafter, gefühlsbetonter, weist eine Generation weiter in die Zukunft. Er lässt vor dem inneren Auge kleinere, unschuldigere, hilflosere Kinder aufscheinen. Die keinen Einfluss darauf haben, wie rücksichtslos und verschwenderisch wir mit der Natur und ihren Ressourcen umgehen. Die aber in dem ganzen Schlamassel weiterleben, den Preis für unsere Verantwortungslosigkeit zahlen und den angerichteten Schaden beheben müssen. Das macht die „Enkeltauglichkeit“ zur emotionaleren, griffigeren Variante der Nachhaltigkeit.
Den Begriff der Nachhaltigkeit prägten nicht etwa die Grünen, sondern ein sächsischer Bergwerksexperte. Im Jahr 1713
Tja, und was war noch einmal ganz genau Nachhaltigkeit? Die inflationäre Verwendung des Begriffs in allen möglichen Zusammenhängen hat für Unschärfen in der Definition gesorgt. Vermutlich wurde der Terminus bereits im Jahr 1713 vom sächsischen Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz geprägt, der sich Gedanken um den Erhalt der Wälder machte und forderte, dass immer nur so viel Bäume geschlagen wurden, wie nachwachsen konnten, damit es „eine continuierliche beständige und nachhaltende Nutzung gebe“, wie er in seinem Forstwirtschaftsbuch „Sylvicultura oeconomica“ festhielt. Es ging Carlowitz um Zukunftsfähigkeit, um verantwortungsvolles Wirtschaften.
Daran hat sich bis heute nichts geändert. Ins helle Licht der Öffentlichkeit rückte der Begriff der Nachhaltigkeit (schon zu Carlowitz’ Zeiten als „sustainability“ ins Englische übersetzt) jedoch erst 1987, als die damalige norwegische Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland den Vereinten Nationen einen Report zur nachhaltigen Entwicklung vorlegte, den sogenannten Brundtland-Report. Dort wird eine Entwicklung als nachhaltig definiert, wenn sie „die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse befriedigen können.“