Es lief nicht mehr rund in Eichstätt. Die Barock- und Universitätsstadt im Altmühltal wusste nicht so recht, wo sie touristisch hinwollte. Ob sie überhaupt irgendwohin wollte. In der Stadt gab es deutliche Vorbehalte gegen eine touristische Weiterentwicklung, endlose Diskussionen um einen Hotelneubau, eine spürbare Zerrissenheit. Der Weg in die Zukunft? Ziemlich unklar. Diese Situation fiel jemandem auf, der sich nicht nur professionell mit Tourismus befasst, sondern dies in Eichstätt selbst tut, und zwar auf akademischem Niveau – Prof. Harald Pechlaner, Inhaber des Lehrstuhls Tourismus an der Katholischen Universität Eichstätt.
Pechlaner fand: Wenn in Eichstätt schon ein Lehrstuhl stand, der sich thematisch mit nichts anderem als Tourismus befasste, dann konnte dieser sein Wissen und seine Erfahrungen ruhig auch mal in den Dienst der Stadt stellen. Und ein Projekt entwickeln, das mit neuen Perspektiven und neuen Ideen Schwung in die festgefahrene Situation brachte. Das touristische Potenziale identifizierte und Schwerpunkte für die künftige Stadtentwicklung setzte.
Pechlaner erarbeitete die Idee eines Konvents. Eines Gremiums von Eichstätter Persönlichkeiten unterschiedlicher Provenienz, die sich ein Semester lang zusammensetzen und gemeinsam definieren sollten, was die Stadt zu bieten hat. Und was sich daraus machen lässt. Dem Tourismuswissenschaftler war von Anfang an klar, dass es in diesem Konvent erst in zweiter Linie um die Entwicklung des Tourismus in der Stadt gehen konnte. Dass das eigentliche Thema die Entwicklung des Stadt-Lebensraums sein musste, aus dem sich dann auch Ziele für den Tourismus ableiten lassen würden. Und dass es nicht nur den Blick von außen auf Eichstätt geben durfte, sondern auch seine Wahrnehmung durch die Menschen brauchte, die hier leben, arbeiten und studieren. Seine Idee trug Pechlaner dem Oberbürgermeister vor. Der musste nicht lange überzeugt werden.
Wir müssen weg von der Idee, dass nur Tourismusverantwortliche den Tourismus entwickeln dürfen und die anderen außen vor bleiben müssen, weil sie damit scheinbar nichts zu tun haben
17 Eichstätter*innen wurden schließlich in den Konvent berufen – neben dem Oberbürgermeister und der Universitätspräsidentin waren auch der Landrat von Eichstätt und die Tourismus-Chefs von Eichstätt und Altmühltal dabei. So weit, so wenig überraschend. Doch in Gestalt des Domkapitulars nahm auch die Kirche Platz am Beratungstisch, ein „traditionell starker Player“ in Eichstätt, wie Pechlaner es formuliert. Auch Student*innen waren geladen und Vertreter*innen von Gewerbe und Kultur.
„Diese Gruppen waren sich in Sachen Stadtentwicklung so noch nie gegenübergesessen“, sagt Pechlaner. „Das war schon etwas Spezielles.“ Was man dagegen bewusst vermieden habe, sei ein Abbild der politischen Verhältnisse im Eichstätter Stadtrat gewesen. „Mir war sehr wichtig, dass die Zusammensetzung des Konvents nach Kompetenzen und beruflichen Schwerpunkten erfolgen sollte, nicht nach politischem Proporz“, betont Pechlaner. „Sonst wäre das Projekt von Anfang an zerredet worden.“ Zu sechs Workshops traf der Konvent zusammen. „Im Unterschied zu ähnlichen Projekten sind wir gleich von Anfang an mit einem breit angelegten Netzwerk gestartet“, erzählt der Wissenschaftler. „Anderswo werden nicht-touristische Akteure erst in einem späteren Stadium und ein bisschen halbherzig eingebunden. Aber wir müssen uns von der Idee verabschieden, dass Tourismusentwicklung nur das Recht der Tourismusverantwortlichen ist, während die anderen außen vor bleiben, weil sie mit dem Tourismus scheinbar nichts zu tun haben.
Der Tourismus arbeitet mit öffentlichen Gütern, und das betrifft die Bürgerschaft insgesamt.“ Nicht nur das breit aufgestellte Gremium spiegelte den Willen wider, die unterschiedlichen Stimmen der Stadt zu hören. Den Bürger*innen stand auch einer der sechs Workshops offen; sie waren eingeladen, ihre Vorstellung von der Zukunft der Stadt zu kommunizieren. Letztlich nahmen allerdings nur wenige Bürger*innen die Einladung auch tatsächlich an. Auch an einer eigens eingerichteten Online-Bürgerbefragung nahmen nur rund 150 Eichstätter*innen teil; das entspricht etwa einem Prozent der Bevölkerung. „Keine Frage, bei der Bürgerbeteiligung gab es Luft nach oben“, gibt Pechlaner zu. „Allerdings war uns klar, dass uns nicht die Massen die Tür einrennen würden. Demokratische Prozesse funktionieren auch mit einer stillschweigenden Mehrheit, was aber leider nicht der optimale Weg ist.
Aber für uns war es schon sehr schön zu sehen, dass zumindest die politische Klasse der Stadt dem Projekt wohlwollend gegenüberstand.“ In den Workshops arbeiteten die Teilnehmer*innen zunächst eine Art Eichstätter Identität heraus. Wie sahen die Einheimischen ihre Stadt? „Gemütlich, kleinstädtisch, Barockstadt, verschlafen, liebenswert, schön“ waren die Assoziationen, die in der Online-Umfrage und von den Konventteilnehmer*innen am häufigsten genannt wurden. Auch die tiefe Verwurzelung von Kirche und Universität wurde festgestellt. Themen wie Flair, Entschleunigung, Natur und Design wurden der Stadt zugeschrieben. 86 Prozent der Eichstätter*innen hatten in der Umfrage die Lebensqualität in der Stadt als positiv bezeichnet (und als Gründe dafür Orte genannt wie Altmühl, Sommerresidenz, Kapuzinergarten, Willibaldsburg, Radwege und Grünflächen). Zugleich waren nur 34 Prozent mit dem Gastro-Angebot zufrieden.
Eichstätt, was bist du für mich? Basierend auf den Ergebnissen einer Bürgerbefragung entwickelte der Konvent eine städtische Identität mit Attraktionspunkten. Und leitete daraus fünf Gestaltungsräume ab
Aus diesen Attraktionspunkten leitete der Konvent in einem zweiten Schritt fünf sogenannte Gestaltungsräume ab. Diese Räume machen zum einen den Charakter der Stadt aus und besitzen zum anderen das Potenzial, ausgebaut zu werden – nicht nur für den Tourismus, sondern ebenso für das ganz normale Eichstätter Leben. Der erste Gestaltungsraum trägt den Namen Spiritualität und Kraft; dahinter verbirgt sich die große Vielzahl an Kirchen und spirituellen Krafträumen. Er hätte das Potenzial, Eichstätt als „Slow City“ zu gestalten, befand der Konvent. Es folgt Architektur: Vom Barock bis zur Moderne hat Eichstätt überdurchschnittlich vielfältige Baukunst zu bieten und könnte sich daher zu einer interessanten Destination für Architekturtourismus entwickeln. Orte der Weisheit heißt der dritte Gestaltungsraum; gemeint sind die internationalen Netzwerke Universität und katholische Kirche, deren Angebote koordiniert und bürgernäher gestaltet werden könnten. Die Altmühl als Gestaltungsraum Nummer vier hätte als Element der Ruhe im städtischen Alltag das Zeug dazu, stärker für Erlebnis- und Erholungsmomente genutzt werden zu können. Als letzten Gestaltungsraum macht der Konvent die Welt des Aktiv & Gesund aus: Eichstätt und das Altmühltal, befanden die Teilnehmer*innen, könnten zu einem Labor für eine neue Form nachhaltigen Tourismus werden.
Doch der Tourismuskonvent wies nicht nur Gestaltungsräume aus. Er benannte auch konkret eine Reihe von Baustellen, die Eichstätt in seiner Entwicklung voranbringen würden. Diese reichen von der Erschließung von Plätzen über mehr Events und Festivals, an denen sich Einheimische und Gäste begegnen können, bis hin zur Verkehrsberuhigung der Innenstadt und neuen Konzepten für Hotellerie und Gastronomie. Sämtlichen Vorschlägen des Konvents ist jedoch eines gemein – ihre Verwirklichung würde stets das Stadterlebnis für alle Beteiligten verbessern, das der Einheimischen ebenso wie das der Gäste.
Die Ergebnisse seiner Workshops fasste der Tourismuskonvent in Form einer Broschüre unter dem Titel „Neue Perspektiven“ zusammen. Sie richtet sich an alle, die an der Thematik interessiert sind, von Entscheidungsträger*innen bis hin zu ganz normalen Bürger*innen. Ob die Entscheidungsträger*innen die Handlungsempfehlungen annehmen, darauf hat der Konvent keinen Einfluss mehr. „Ich habe aber die Erfahrung gemacht, dass die Politik oft dankbar ist für den Impuls, den solche Projekte ermöglichen“, sagt Pechlaner. „Oft greifen sie das auf und setzen die eine oder andere Sache um. Andererseits ist Stadtentwicklung aber auch ein Bottom-up-Prozess. Das bedeutet, dass nur Erfolg hat, was von den Bürgern kommt. Das muss die Politik berücksichtigen.“
Noch ein Aspekt ist Pechlaner wichtig: „Mit diesem auf ein Semester begrenzten Konvent wollte ich eine Grundlage schaffen, auf der viele weitere Projekte aufbauen können. Was wir herausgefunden haben, kann als Konzept für einen neu ausgerichteten Einzelhandel ebenso passen wie für städtische Bildungskonzepte oder eben ein Tourismusentwicklungskonzept.“ Man habe die Stadt zwar unter der touristischen Lupe betrachtet, aber der Blick von außen, sagt Pechlaner, „der tut uns allen gut.“
Häufig begegnet man in der Diskussion um neue Tourismuskonzepte den Begriffen Lebensraum und Lebenswelt. Beide bedeuten das Gleiche – eine Perspektive, die einen Ort nicht nur als touristische Destination wahrnimmt, sondern als einen Raum für Einheimische und Gäste. Der deshalb auch Elemente wie Lebensqualität, Arbeitsmarkt, Gesundheitsversorgung und Infrastruktur miteinschließt. Der Terminus „Lebensraum“ ist durch seine große Rolle in der NS-Terminologie stark vorbelastet, findet in der Tourismusdiskussion von heute aber dennoch wieder große Verwendung. Zum Glück mit gänzlich anderer Konnotation.
Mehr zum Tourismuskonvent auf dieser Website.
Fotos: Naturpark Altmühltal, Dietmar Denger, Joachim Negwer