Müssten Menschen heute ihre Vorstellungen von einer nachhaltigen Zukunft beschreiben, ist es sehr wahrscheinlich, dass sie das Bild eines Daseins entwerfen, das von Verzicht geprägt ist. In der allgemeinen öffentlichen Wahrnehmung scheint der einzig mögliche Weg zu einer ökologisch sinnvollen, nachhaltigen Lebensweise über Einschränkung, Verbote und ein generelles „Weniger“ zu führen.
Dabei existieren durchaus auch andere Ansätze. Solche etwa, die Ökologie mit Genuss, Lebensqualität und High-Tech in Verbindung bringen. Der deutsche Trendforscher Matthias Horx hat den Begriff der „Blauen Ökologie“ geprägt, um den in seinen Augen von „apokalyptischer Logik“ dominierten Ökologiegedanken etwas Positives und Motivierendes entgegenzusetzen. Horx verzichtet auf Verzicht, will Knappheit in Fülle verwandeln und Lust auf intelligente Verschwendung wecken. In seinen Augen geht es gar nicht anders. „Damit der ökologische Code das alte industrielle Mindset wirklich ablösen kann, wird er selbst einige Wandlungen durchlaufen müssen. Diese Entwicklung nenne ich den Shift von der Grünen zur Blauen Ökologie. Blau ist die Farbe der Erdatmosphäre im All. Blau ist auch die Symbolfarbe des Universalismus, eines ganzheitlichen Denkens“, schreibt Horx in einem Beitrag für die „Kepler Tribune“, die Wissenschaftszeitung der Johannes Kepler Universität in Linz. Und was versteht der Zukunftsforscher unter der Blauen Ökologie? Horx stellt sich eine High-Tech-Ökologie vor, die eine neue Synthese zwischen Mensch, Natur und Technik ermöglicht – und zwar auf höherem Niveau. Es müsse endlich Schluss sein mit der Spaltung zwischen der „heilen und heiligen Natur“ einerseits und dem bösen Menschen, der diese Natur zerstört und allein durch seine Existenz schon schuldbeladen sei. Technologie, so Horx, sei kein Feind, den es zu bekämpfen gilt, sondern die Lösung. In ihrer Argumentation berufen sich Horx und das von ihm gegründete Trendforschungsinstitut „Zukunftsinstitut“ auch auf den deutschen Chemiker und Umweltbiologen Michael Braungart. Der untersuchte anfangs für Greenpeace und mittlerweile im eigenen EPEA-Institut industrielle Produktionsverfahren. Er ist einer der Erfinder des sogenannten Cradle-to-Cradle-Prinzips im Produktdesign, das immer mehr Anhänger gewinnt. Cradle to Cradle heißt „von der Wiege zur Wiege“ und bedeutet die im Idealfall endlose Zirkulation von Materialien und Nährstoffen in Kreisläufen. Statt die negativen Konsequenzen von Produktion und Konsum reduzieren zu wollen, will Braungart die positiven Auswirkungen optimieren. Verschwendung soll kein Problem mehr darstellen, weil Produkte in Stoffkreisläufen funktionieren.
Es fallen also keine nutzlosen Abfälle mehr an (wie es im bis-lang vorherrschenden, linearen Cradle-to-Grave-Produktionsprozess der Fall ist), sondern immer wieder nützliche Rohstoffe, die jeweils neu eingesetzt werden können. Dies gilt nicht nur für biologische Kreisläufe etwa von Naturfasern oder biologisch abbaubarer Verpackung, sondern auch für technische Güter: Diese werden bereits bei ihrer Entwicklung so konzipiert, dass sie nach ihrer Nutzungsphase wieder als Ressource für neue Güter eingesetzt werden. Das Cradle-to-Cradle-Produktionsprinzip bildet die Grundlage einer naturverträglichen Kreislaufwirtschaft, die zugleich auch mit Elementen wie Sharing Economy und digitalen Dienstleistungen auf eine möglichst lange Nutzungsphase der Produkte hinarbeitet, bevor diese wiederaufbereitet oder biologisch abgebaut werden. Cradle to Cradle ist aber auch Ausdruck der Überzeugung, dass Natur und Technik keine Gegensätze sind, sondern dass Technik erst die Möglichkeiten für umweltfreundliches Leben und nachhaltigen Konsum schafft. Nur eine solche „Ökologie der Fülle“, sagt Horx, werde die Menschheit die Global-Warming-Krise überstehen lassen. Ganz ohne Verzicht. „Denn in intelligenten Systemen ist genug für alle da!“
Dass Technik und Innovation zur Ökologie der Zukunft zwingend dazugehören, bezweifelt allerdings ohnehin kaum jemand. Doch noch bevor es der Menschheit gelingt, ihren Energiebedarf völlig aus Wasserstoff zu decken, CO2 großflächig in Sandstein einzuspeichern oder gar in Kraftstoff zu verwandeln – alles Projekte, an denen gearbeitet wird –, könnte vielleicht schon dem finnische Start-up Solar Foods Erfolg beschert sein:
Die Forscher bei Helsinki züchten aus CO2, das der Luft entzogen wird, und Vitaminen einzellige Mikroben, die zum Großteil aus Proteinen bestehen und sich zu Mehl und Flocken verarbeiten lassen. Selbst in Wüstengegenden ließe sich damit Nahrung erzeugen, ganz ohne Agrarland. Und das in rauen Mengen.
Sehen Sie hier den Vortrag von Prof. Dr. Braungart zum Cradle to Cradle Ansatz vom Bayerischen Tourismustag 2021:
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