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{{postCount}} Nennt es besser nicht Gesundheitsurlaub!
Interview mit Prof. Dr. Martin Lohmann

Nennt es besser nicht Gesundheitsurlaub!

Kommen Gesundheitsangebote an? Ja, wenn sie attraktiv gestaltet und kommuniziert werden. Das liest Martin Lohmann aus den Ergebnissen der Reiseanalyse 2020. Die Reiseanalyse, durchgeführt von der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen e. V., untersucht jedes Jahr das Reiseverhalten der Deutschen

Prof. Dr. Martin Lohmann Tourismusforscher
Über den Autor

Prof. Dr. Martin Lohmann lehrt Wirtschaftspsychologie an der Uni Lüneburg, leitet das Kieler Institut für Bäder- und Tourismusforschung in Nordeuropa und berät die Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen e. V.

Was ist die wichtigste Botschaft aus dem Gesundheits-Modul der Reiseanalyse?

Mit den sogenannten „Modulen“ untersuchen wir im Rahmen des jährlichen Projektes Reiseanalyse (RA) bestimmte Themen vertieft. In diesem Jahr gehörte dazu „Gesundheit und Urlaubsreisen“. Dabei geht es jetzt nicht um Sicherheit vor Ansteckung mit einem gemeinen Virus, sondern um die Art und Weise, wie man in den Ferien etwas für seine eigene Gesundheit tun möchte. Wenn man daraus eine Botschaft ableiten will, dann die, dass es viele an Gesundheit interessierte Touristen gibt (rund 75 % in der Bevölkerung), man die aber im Marketing nicht über den berühmten einen Kamm scheren kann.

Welches Ergebnis hat Sie am meisten überrascht? Was schließen Sie daraus bzw. was bedeutet dieses Ergebnis für die Branche?
Die Zeitreihen der RA zeigen deutlich, dass „Gesundheitsurlaub“ als Urlaubsart nun wirklich überhaupt nicht im Trend liegt. Die aktuellen Ergebnisse machen nun deutlich, dass sehr wohl für viele Feriengäste gesundheitsorientierte Angebote und Aktivitäten relevant sind, aber eben nicht unter dieser Überschrift „Gesundheitsurlaub“. Das zeigt eine Chance auf, im Urlaub gesundheitsorientierte Aktivitäten auch an „ganz normale“ Urlauber zu bringen, andererseits die Notwendigkeit einer pfiffigen Kommunikation und Produktgestaltung, die hergebrachte Kategorien zumindest in Frage stellen muss.

Was können wir aus den Daten der Reiseanalyse lernen, was haben wir bisher vielleicht noch nicht richtig verstanden?
In der Kommunikation und manchmal auch im Angebot wird oft zu wenig klar unterschieden zwischen den verschiedenen Segmenten. Wellness ist eben nicht eine Unterform des Gesundheitsurlaubs, eine Kur ist etwas anderes als eine Heilbehandlung abseits des Heimatortes. In all diesen Segmenten stecken unterschiedliche Personen mit segmenttypischem Fokus. Das ist jetzt als grundsätzliche Erkenntnis nicht neu, aber noch nicht überall umgesetzt. Die neuen Ergebnisse sind eine prima Grundlage für die nötige Differenzierung.

Wenn man die Ergebnisse zu Altersklassen, Sinus-Milieus und Gesundheitszustand der Gesundheitsaffinen bzw. GWK-Urlauber zusammenfasst: Welche Zielgruppen sind besonders empfänglich für 1) klassische Kuranwendungen, 2) ganzheitliche Anwendungen, 3) Bade- und Saunalandschaft und 4) die gesunde Wirkung der Natur?
Für klassische Kuranwendungen sind Personen empfänglich, denen es vor allem um die körperliche Gesundheit geht, und das sind in erster Linie Senioren von 70 Jahren aufwärts. Viele von ihnen haben gesundheitliche Beschwerden und damit einen konkreten Anlass. Bei den Sinus-Milieus haben wir hier einen Schwerpunkt bei den „Traditionellen“. Ganzheitliche Anwendungen sprechen eher Touristen an, für die das seelische Wohlbefinden im Vordergrund steht. Auch das sind ältere Zielgruppen, aber nicht so dominant. Das Interesse ist ausgeprägter als bei schlecht empfundener eigener Gesundheit. Eine klare Zuordnung zu einzelnen Sinus-Milieus gibt es nicht. Bade- und Saunalandschaften sind für nahezu jeden etwas, vor allem für Personen mit guter Gesundheit in jüngerem und mittlerem Alter. Bei Gästen über 70 Jahre ist das Interesse etwas geringer, aber immer noch weit verbreitet. Die Schwerpunkte bei den Milieus sind etwas moderner und weltoffener. Die gesunde Wirkung der Natur findet erst mal ohne Zutun eines Anbieters und bei allen statt, die sich ihr aussetzen. Ältere Gäste haben dafür ein größeres Bewusstsein. Im Hinblick auf die Milieus finden wir diese Zielgruppen wieder in den eher konservativen Segmenten, aber auch in der moderner ausgerichteten Mitte, dort vor allem in den oberen Schichten.

Welche Trends und Entwicklungen für die Nachfrage einzelner Gesundheitsangebote bei den Zielgruppen lesen Sie aus den Daten?
Wir haben mit diesen Ergebnissen ja zunächst eine Momentaufnahme, deren Wert darin liegt, die aktuelle Situation zu analysieren. Ein Handlungsbereich, der sich aus dieser Analyse ergibt, sind Kombinationen von verschiedenen Angeboten und Aktivitäten. Wer z. B. gerne klassische Kuranwendungen hat, der möchte in der Regel auch „gesundes regionales Essen“ und „Verwöhnangebote“. Wer möchte, dass glückliche Gäste gesünder nach Hause zurückkehren, darf also nicht bei „klassischen Kuranwendungen“ in hoher Qualität stehen bleiben, sondern muss sich auch um das Drumherum kümmern. Da ist in der Destination oft Koordination und Zusammenarbeit gefragt. „Digital Detox“, also eine Art Gerätefastenkur, verlangt gleich einen ganzen Strauß an begleitenden Angeboten, bei dem auch die Natur und Entspannungsmöglichkeiten eine wichtige Rolle spielen. Erst durch das Gesamtangebot wird also „ein Schuh draus“.

Das Modul zeigt, dass viele Menschen Gesundheitsangebote nutzen, aber nur wenige dezidiert „Gesundheitsurlaub“ machen. Woran liegt das, und wie sehen Sie die künftige Entwicklung? Was kann man hier besser machen?
Urlaubsformen, die im Namen eine Zielsetzung vor sich her tragen, finden abnehmende Beliebtheit. Fitnessurlaub gehört dazu, und eben auch der Gesundheitsurlaub. So was ist „unurlaubig“, widerspricht der Freiheit, die viele im Urlaub finden wollen, und richtig sexy klingt das ja auch nicht. Gesundheit ist auch im Alltag als Aspekt immer präsenter, und davon soll sich der Urlaub bitte schön unterscheiden. Das ist nicht die Zeit für die Realisierung guter Vorsätze. Dahinter verbirgt sich aber eben nicht, dass Gesundheit keine Rolle mehr spiele. Wenn ich also gesundheitsorientierte Angebote vermarkten will, dann könnte man das Urlaubige daran, den Spaß beim Baden, die wundervolle Ruhe in der Natur, das Verwöhntwerden bei der Massage in den Vordergrund stellen.

Foto:© Leuphana Universität Lüneburg