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{{postCount}} Mehr Technologie, mehr Nähe
Besucher drängen sich auf der Mainbrücke in Würzburg
Künstliche Intelligenz, Vernetzung und Open Data liefern die Grundlagen für ein ressourcenschonendes, soziales Miteinander. Auch im Tourismus.

Mehr Technologie, mehr Nähe  

Peter Meroth Autor

Digitalisierung und Nachhaltigkeit sind große Themen unserer Zeit. Auf den ersten Blick sieht es fast aus, als schlössen sie sich gegenseitig aus. Rasend schnelle Computertechnik auf der einen Seite, achtsamer Einklang mit der Natur auf der anderen – ob das zusammengeht? Es handelt sich um zwei komplexe Strömungen von großer Kraft und mit teils irritierenden Wirbeln. Bei der Digitalisierung reicht die Bandbreite von der simplen E-Mail-Anfrage bis zum Einsatz künstlicher Intelligenz im Big-Data-Business. Das Bemühen um Nachhaltigkeit fängt beim Einweggeschirr an, schließt durchdachtes Naturschutz- oder Mobilitätsmanagement mit ein und hört bei der Sozialverträglichkeit touristischer Erlebnisse noch lange nicht auf.
Haben wir es bei Digitalisierung und Nachhaltigkeit also mit zwei parallelen Entwicklungen zu tun? Tatsächlich reicht die Verbindung tiefer. Noch in den 1980er-Jahren waren sich Wissenschaftler*innen nicht sicher, wie sie beobachtete Wetter-Kapriolen und andere auffällige Naturvorgänge einordnen sollten. Inzwischen liefern Sensoren, Satelliten und Forschungsstationen aus aller Welt immer präzisere Messwerte. Von den Überschwemmungen in Australien über die Waldbrände in Kalifornien und das Tauen der Permafrostböden in Sibirien bis zur Gletscherschmelze auf der Zugspitze. Aus Einzelereignissen ergibt sich erst mithilfe moderner Datenverarbeitung ein Gesamtbild.

Von der Analyse zur Problemlösung

In Hamburg betreibt das Deutsche Klimarechenzentrum (DKRZ) seit über 20 Jahren Hochleistungsrechner, die immer wieder neue Superlative liefern. Der Supercomputer, der 2009 ans Netz ging, war der schnellste der Welt. Doch 2015 folgte schon der nächste.

Noch einmal ums 20-Fache besser als sein Vorgänger, schaffte er drei PetaFLOPS, drei Billiarden Rechenoperationen pro Sekunde. Seit März dieses Jahres ist wieder eine neue Wundermaschine in Betrieb, die mit 14 PetaFLOPS noch genauere Klimamodelle und -prognosen liefert. Allein diese Entwicklung in Hamburg dürfte deutlich machen, welchen Schub die Digitalisierung der Klima- und Umweltdiskussion gab. Und wie sie das Tor öffnete für all die Erkenntnisse und Aktionen, die unter dem Dachbegriff Nachhaltigkeit an Relevanz gewinnen. Die gute Nachricht dabei ist, dass die Digitalisierung nicht nur die Analyse des Problems möglich machte, sondern auch das Potenzial zu seiner Lösung bietet. Auch im Tourismus.

DIGITALISIERUNG & GÄSTELENKUNG

Umwelt- und soziale Probleme an touristischen Hotspots lassen sich lösen – durch digitale Gästelenkung. Wie das funktioniert? Künstliche Intelligenz ent­wickelt auf der Basis gesammelter Daten Prog­nosemodelle, warnt den User im Bedarfsfall und macht ihm idealerweise auch gleich die zu seinem Profil passenden Alternativvorschläge. Wirkt deutlich nachhaltiger als ein klassisches Verbotsschild.

Beispiel Besucherlenkung: „Digitale Besucherampeln“, wie sie jetzt schon an den Küsten Schleswig-Holsteins oder in Baden-Württemberg in Funktion sind, sollen Overtourism-Probleme gar nicht erst aufkommen lassen. Doch das ist erst der Anfang. Nun zeigt sich, was für eine Vielzahl an Mitteln einsetzbar ist. Wie sich Tools ergänzen. Und wie durch ihre intelligente Verknüpfung die Chancen für Mensch, Natur und wirtschaftliche Effizienz exponentiell wachsen. Was heute noch eine schlichte Besucher-Card zur kostenlosen Nutzung von Bussen und Bahnen ist, wird zum Baustein der Seamless Mobility, des nahtlosen Wechsels zwischen Fortbewegungsmitteln, die eine zügige Anreise ermöglichen, entspanntes Bummeln, Transport der Gäste zu und von der Wanderung, sichere Heimkehr abends, Shuttle-Service zu Museen, Kulturevents und Sport. Gratis dazu gibt’s das gute Gefühl, umweltgerecht unterwegs zu sein.

Digitalisierung im Tourismus birgt viele Chancen – für den Menschen, für die Natur, für die wirtschaftliche Effizienz

Wie nachhaltig sind eigentlich Computer?

„Die Digitalisierung begegnet uns überall – und hat die Art, wie wir arbeiten und leben, stark verändert (…) Der technologische Wandel ist in vollem Gange“, stellte auch die deutsche Bundesregierung fest. Sie will eine Start-up-Strategie erarbeiten, um den Aufbruch in die Netzwelt zu fördern und den digitalen Wandel voranzutreiben. Bis Ende März 2022 waren Interessierte aufgerufen, sich mit ersten Stellungnahmen an der Diskussion zu beteiligen, parallel dazu hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz zu Workshops eingeladen.

DIGITALISIERUNG & UMWELT

Wie umweltverträglich sind eigentlich Großrechner, Smartphones und Streaming? Die CO2-Bilanz digitaler Geräte ist leider nicht so gut, wie man es sich wünschen würde. Dem steht entgegen, dass die Digitalisierung insgesamt zu enormen Effizienz­steigerungen führt, die sich wiederum positiv auf Umwelt und Klima­bilanz auswirken. Tendenz hoffentlich steigend.

Erlaubt sein muss allerdings auch die Frage nach der Umweltverträglichkeit der wachsenden Zahl an Kleincomputern, Großrechnern und Netzen, welche die Digitalisierung mit sich bringt. Das Öko-Institut Freiburg hat 2020 den CO2-Fußabdruck digitaler End­geräte und Dienste untersucht. Dabei zeigte sich, dass weniger die Handys und Computer als vielmehr die TV-Geräte mit immer größeren Bildschirmen die Klimabilanz belasten. Auch bei der Datenübertragung ist es vor allem das Streaming von Filmen in HD-Qualität, das negativ zu Buche schlägt. Insgesamt entstehen laut Bilanz des Öko-Instituts bei durchschnittlicher Nutzung aller digitalen Geräte pro Person 739 Kilogramm CO2-äquivalente Emissionen pro Jahr. Bei intensiver Nutzung bis zu 1.000 Kilogramm. Die CO2-Last durch Wohnen, Mobilität, Ernährung, öffentliche Infrastruktur und sonstigen Konsum beträgt hingegen 11,6 Tonnen pro Kopf.

Effizienter und nachhaltiger zugleich

Großrechner und Server-Hubs sind in der Studie noch gar nicht berücksichtigt. Deren Energiebedarf und Emissionen müssen die Behörden am jeweiligen Standort regulieren. Sache der Betreiber*innen ist es auch, nach verträglichen Lösungen zu suchen, wie zum Beispiel beim Deutschen Klimarechenzentrum in Hamburg, das mit der Abwärme seines Supercomputers benachbarte Gebäude heizt. Denn der Anspruch der Nachhaltigkeit gilt für jede einzelne Aktivität oder digitale Anwendung – auch wenn unterm Strich klar ist, dass Digitalisierung enorme Effizienzsteigerung generieren kann. Dass smarte Ampeln in Städten Abgase und Feinstaubbelastung reduzieren, dass Videokonferenzen Dienstreisen überflüssig machen, dass kluge Navigationsprogramme Wanderer und Mountainbikerinnen um Schutzgebiete herumführen. Die ganze Palette ressourcenschonender Optimierung reicht von der Akquise bis zum Zufriedenheitscheck am Ende einer Reise.

DIGITALISIERUNG & RESONANZ

Je weniger der Kellner zwischen Restauranttisch und Küche hin und her hetzen muss, desto besser seine Laune und desto mehr Zeit hat er für einen fröhlichen Ratsch mit den Gästen. Die werden sich an den per Wi-Fi an den Herd gefunkten Bestellungen nicht stören, solange sie das Gefühl mit nach Hause nehmen können, in diesem Lokal einem echten Menschen begegnet zu sein.

Die Firma bd4travel arbeitet beispielsweise an dem Einsatz von Big Data und künstlicher Intelligenz, um bei Online-Buchungen die Wünsche und Vorlieben von Kunden zu erfassen und sie künftig per Algorithmen ähnlich gut zu beraten und durch das große Angebot von Reisen zu führen wie erfahrene Reisebüro-Mitarbeiter heute. Läutet solche Digitalisierung das Totenglöckchen der Reisebüros? Nein. Und das gilt für alle Situationen, in denen es auf persönlichen Kontakt ankommt. Reisen heißt nicht, dass wir als Daten-Schablonen durch digitale Welten geistern sollen. Reisen bedeutet, dem Alltag zu entwischen und einzutauchen in andere, oft fremde Realitäten.

© Adobe Stock (3), Thomas Linkel; Text: Peter Meroth