Wie war das noch gleich mit YouTube? Das ist doch diese 20 Jahre alte Videoplattform, auf der sich die Menschen Katzenvideos und Rezepte ansehen. Kostet das Marketing da nicht richtig viel Zeit? Und Geld? Geht das bei TikTok nicht viel schneller und günstiger?
Wenn man Simon Kaiser mit den gängigen Vorurteilen gegenüber der größten Videoplattform der Welt konfrontiert, räuspert der sich erst einmal kurz, bevor er schwungvoll zur Gegenrede ansetzt. Schon bald wird er schlüssig nachgewiesen haben, dass eine Marke oder Destination kaum etwas Sinnvolleres tun kann, als in der Social-Media-Kommunikation auf YouTube zu setzen. Klar: Simon Kaiser betrachtet YouTube mit liebevollem Auge, denn er lebt davon. Der 37-Jährige ist Geschäftsführer von „Klein aber“, einer Hamburger Agentur, die Unternehmen zu YouTube-Strategien berät, Brand-Channels aufbaut und für ihre Kunden Content produziert. Kaiser ist seit 2013 außerdem selbst erfolgreich als Creator mit einem Kanal auf YouTube unterwegs. Kaiser verrät erst einmal die Fakten: YouTube ist nicht nur die größte Videoplattform der Welt und nach Google die zweitgrößte Suchmaschine, sondern – Überraschung – in Deutschland auch das größte soziale Netzwerk.
Größer als Facebook, Instagram und TikTok. Laut der Onlinestudie 2023 von ARD/ZDF hatte YouTube 43 Prozent wöchentliche Nutzer (gegenüber 35 Prozent bei Instagram, 33 Prozent bei Facebook und 15 Prozent bei TikTok). „Der Kanal ist in allen Altersgruppen groß, selbst bei der Gen Z. Die Reichweite ist enorm, das wird nur nicht so wahrgenommen“, hat Kaiser beobachtet. „Und das ist schade, denn ein großer Vorteil von YouTube ist, dass man hier entlang des Marketing-Funnels die unterschiedlichsten Ziele erreichen kann: Brand Awareness, Brand Building, Kaufabschluss, alles.“ Und die Nachteile des Kanals? Da fällt Kaiser nur ein, „dass man einen langen Atem braucht. Das ist der Hauptgrund dafür, warum viele Marketer YouTube nicht in Betracht ziehen. Das aber“, so Kaiser, „ist in meinen Augen grob fahrlässig!“
Die größte Videoplattform der Welt mit ihrer enormen Reichweite ist in Kaisers Augen nicht nur für geschaltete Werbung ein erfolgsträchtiger Ort, sondern eignet sich hervorragend für den Bau eines eigenen Brand Channels oder für die Zusammenarbeit mit YouTube-Creatoren. All dies umso mehr, als viele User den Kanal zur Informationssuche benutzen, etwa, wenn es um Inspirationen für die nächste Urlaubsreise geht. Was einer der Gründe dafür ist, dass auch die BayTM bei ihrer 2025er-Kampagne „Reine Geschmackssache“ unter anderem auf eine neue YouTube-Serie setzt.
Der Gestaltungsfreiraum auf YouTube ist groß, weil mittlerweile vier verschiedene Hauptformate angeboten werden: die bewährte Longform, dann sogenannte Shorts, die wie Reels bei Instagram als Feed durchlaufen, außerdem Podcasts (auch mit Videos) und Livestreaming. Das laut Kaiser nach wie vor wichtigste und beim deutschen Publikum beliebeteste Format ist die Longform – also Filme, die zwischen mehreren Minuten und einigen Stunden dauern. Und diese kreieren etwas, das andere Plattformen nicht annähernd so gut hinbekommen: kostbare Watchtime. Zeit also, die das Publikum mit der Marke verbringt.
„In einem 15-Minuten-Video gucken die Leute vielleicht acht Minuten, bevor sie aussteigen. Das ist viel Zeit, um eine Marke oder Destination unterzubringen, um eine Beziehung zum Publikum aufzubauen, um Mehrwert zu schaffen“
Er betont, dass der meiste Content bei YouTube nicht über den Feed läuft, sondern jahrelang im Archiv weiterbesteht, wo er immer wieder Traffic generiere und von Usern bewusst ausgewählt würde. Auch das sei ein positiver Unterschied zum passiven, toxischen „Doomscrolling“ (dem exzessiven Konsum schlechter Nachrichten), wie es auf anderen Plattformen stattfindet.
Für eine erfolgreiche YouTube-Strategie braucht es das schon zitierte Durchhaltevermögen. „Man sollte keine kurzfristige Kampagne planen, sondern Reichweite und Kanal nach der Devise ‚always on‘ langfristig aufbauen“, rät Kaiser. Zweitens müsse man sich mit den Videos daran orientieren, was der Zielgruppe gefällt und nicht in erster Linie den Marketing-Verantwortlichen. Bestes Beispiel für beide Regeln ist das Online-Verkaufsportal Kleinanzeigen, für die Kaisers Agentur seit 2017 eine an die Gen Z gerichtete Sitcom mit dem Namen „Kleinanzeigen-WG“ produziert. In dieser Serie werden die Zukunftssorgen der Zielgruppe thematisiert und das Kleinanzeigen-Portal als nachhaltiger Schritt in Richtung einer besseren Welt kommuniziert. „Es ist Werbung, aber die Marke wird nicht penetrant in den Vordergrund gestellt“, erklärt Kaiser das Geheimnis des Erfolgs. Denn ein Erfolg ist die Kleinanzeigen-WG allemal – mit bislang über 400 Videos, 75 Millionen Views und 555 Jahren Watchtime allein im Jahr 2022, dazu einer Goldenen Kamera in der Kategorie Best Brand Channel, dem Effie Award und dem Deutschen Digital Award. Content, der sich im wahrsten Sinne des Wortes sehen lassen kann.Anders als etwa Instagram bewerte YouTube Videos nicht nach Klickzahlen, sondern nach Watchtime, verrät Kaiser. Eine gute Verpackung des Videos – toller Titel, spannender Thumbnail – sei daher wichtig, aber nur, um die Neugier zu entfachen. Einmal angeklickt, muss sich das Video selbst beweisen.
Dazu, sagt Simon Kaiser, sollten Youtuber vier Storytelling-Regeln folgen: Ein Video muss in den ersten 15 Sekunden Spannung erzeugen und zum Punkt kommen, denn danach springen die Ersten schon wieder ab. Es muss Anker setzen, indem es mehr Fragen aufwirft, als beantwortet – und die Leute deshalb zu „bingen“ anfangen (also eine Folge nach der anderen zu gucken). Es sollte aus einer einzigartigen Perspektive heraus erzählen. Und den Menschen am Schluss etwas mitgeben – eine Einsicht, eine Moral, etwas, das hängenbleibt. Dann kommen sie wieder.
Marketern, die mit YouTube liebäugeln, empfiehlt Simon Kaiser, die Videoplattform aus Gründen der Effizienz nicht „zusätzlich“ in den Kanal-Mix aufzunehmen, sondern sogar ins Zentrum der Online-Marketingstrategie zu stellen. Am besten entsprechend dem Content-Pyramiden-Konzept von Marketing-Guru Gary Vaynerchuk. „Wenn eine touristische Destination das Thema ‚schönste Wanderwege‘ kommunizieren will, könnte sie einen Podcast mit 45-minütigen Videos produzieren.
Aus jedem Video werden fünf kürzere Clips abgeleitet, nach denen die Leute suchen können. Aus denen lassen sich wiederum 15 Shorts und Reels machen, die Neugier wecken. Die Reels kann ich auch auf Instagram und TikTok verwenden. Umgekehrt geht das nicht. Ein Insta-Reel lässt sich zwar als YouTube-Short verwenden, aber nicht zur YouTube-Longform verlängern. Und eine reine Shorts-Stragegie wird für die wenigsten Destinationen sinnvoll sein.“ Und wer lieber mit Content Creatoren arbeitet, statt selbst zu produzieren? Der muss erst die passenden Youtuber finden. Das geht mit Tools (auch „Klein aber“ hat eines entwickelt). Man könne, sagt Kaiser, aber auch selbst auf der Plattform unterwegs sein, sich informieren, Reise-Podcasts gucken und eruieren, was sich die Zielgruppe gerne ansieht. „Und dann: gute und zum eigenen Inhalt passende Anlässe schaffen, zu denen man Youtuber einlädt. Ich selbst war als Foodblogger mal vom französischen Landwirtschaftsministerium nach Paris eingeladen. Zum Programm gehörten Restaurantbesuche, ein Marktbesuch, ein Küchenstudio, wo wir selbst kochen konnten. Wir haben tolle Videos gemacht. Und die sind auf YouTube hervorragend gelaufen …“
Ob auf YouTube oder anderen Social-Media-Kanälen: Influencer-Marketing funktioniert, weil die Zielgruppe emotional und authentisch angesprochen wird – und weil Werbung nicht wie Werbung klingt, sondern wie eine vertrauenswürdige Empfehlung aus dem Freundeskreis. Doch wie finden Sie den passenden Content Creator? Das sollten Sie bedenken:
Der Content Creator muss zu Ihnen passen!
Am besten wartet man nicht, bis man von Creatoren angesprochen wird, sondern ergreift selbst die Initiative. Spezielle Agenturen helfen dabei, die für die eigenen Ziele passenden Creatoren zu finden. Alternativ kann man sich auch selbst auf die Suche machen: Dazu am besten die Plattformen studieren, herausfinden, was sich die Zielgruppe gerne ansieht und wer dort Erfolg hat. Es gibt auch Tools wie Upfluence oder Hypeauditor, die helfen, Content Creatoren mit der passenden Audience zu identifizieren. Und die „fake Influencer“ mit gekauften Followern aussortieren.
Viele Follower? Keine Erfolgsgarantie!
Im Gegenteil: Weniger kann sogar mehr sein: Nano- und Micro-Influencer (mit bis etwa 100.000 Followern) haben eine bis zu viermal höhere Engagement-Rate als Macro-Influencer (ab 100.000 Follower) und gelten in ihren Communitys als authentisch und vertrauenswürdig.
Es muss nicht immer der Travel-Creator sein
Travel-Creatoren zeigen oft nur Highlights – und das ohnehin reiseaffinen Personen. Wer mit Creatoren aus anderen Bereichen arbeitet, erreicht auch andere Interessensgruppen (Food, Outdoor, Familie) und weckt womöglich deren Reiselust. Content, der nicht nur Sehenswürdigkeiten abdeckt, vermittelt außerdem ein authentischeres, vielfältigeres und spannenderes Bild von einer Destination.
Fotos: erlebe.bayern – Gert Krautbauer; stock.adobe.com