Was wird im Marketing wichtig? Philipp Westermeyer setzt auf Trends wie Micro-Influencer, Communitys und Events. Aber auch Podcasts und Print findet der Gründer und Geschäftsführer von OMR, der großen Plattform für digitales Business, spannend. Seine Gründe erklärt er im Gespräch.
Als Geschäftsführer von OMR in Hamburg bist du der Experte für digitales Marketing in Europa und hast das Ohr am Puls der Zeit. Was wird im Marketing wichtig, wohin geht die Reise?
Für Produkte wird immer wichtiger, auf welcher Plattform sie vermarktet werden. Lange war Marketing etwas, das man im TV oder in Zeitschriften machte und vielleicht noch auf Google. Doch inzwischen muss sich ein Unternehmen viel mehr Gedanken darüber machen, welche Plattform es bespielen möchte. Die Auswahl ist enorm groß geworden, und die Frage lautet: Was passt zu mir? Wo kann ich erfolgreich sein? Es wird in Zukunft also nicht in erster Linie um Kreativität gehen, sondern um die Beherrschung unterschiedlicher Plattformen. Denn die unterscheiden sich in ihrer Funktionsweise stark. Früher machte man Fernsehwerbung, wenn man das bezahlen konnte, und das lief. Heute ist es viel komplizierter, denn auch die Wirkungsweisen der Plattformen wollen erst einmal verstanden sein: Instagram, Influencer usw., das sind unterschiedliche Kanäle mit unterschiedlichen Gesetzmäßigkeiten. Nicht jeder muss alle Kanäle beherrschen und für sich nutzen; das halte ich sogar für gänzlich unmöglich. Aber wer etwas verkaufen will, muss sich den Überblick verschaffen – und dann das Passende heraussuchen.
Was ist der große Treiber in dieser Entwicklung?
Das Marketing folgt dem Medienwandel. So wie sich die Medienlandschaft von den klassischen Verlagshäusern, Fernsehsendern etc. wegbewegt, so verändert sich auch das Marketing. Ein langwieriger Prozess, der schon seit über zehn Jahren läuft und der die Kulisse schafft für die große Frage: Wie kann Marketing heute aussehen?
Und wie kann Marketing heute aussehen?
Wenn es um klassische Marketingaufgaben geht – eine Marke aufzubauen, Aufmerksamkeit zu generieren, Kundschaft zu gewinnen –, dann sind drei Aktionsfelder extrem wichtig: Influencer, Communitys und Events.
Influencer sind ja kein neuer Trend.
Nein, aber sehr wirkungsvoll sind jetzt Micro-Influencer, also Nischen-Influencer, die sich eine eigene Community mit bis zu 100.000 Followern aufgebaut haben. Bei denen spürt man, dass sie mit ihren Followern wirklich im Austausch stehen. Die haben echte Sogkraft in ihrer Community. Wenn die ein Produkt oder eine Reise empfehlen, dann folgen die Follower diesen Empfehlungen auch wirklich. Wenn dagegen ein Super-Model etwas postet, das sich irgendwann einen Instagram-Account zugelegt und 15 Millionen Follower hat, dann ist das eine von tausend Botschaften an ein ziemlich anonymes Publikum und entsprechend nicht so relevant. Ein junges Nachwuchstalent aber, das sich in zwei Jahren auf TikTok eine Community von 20.000 überzeugten Fans aufgebaut hat und damit bei Freunden, Nachbarn und Familie angefangen hat, dessen Empfehlungen finden Beachtung. Erstens fühlen sich die Follower dem Talent viel stärker verbunden, zweitens werden die Tipps als ehrlicher verstanden. Man sieht das auch in den Engagement-Raten, die viel höher sind als in der Anonymität der Groß-Influencer. Beim Superstar wirkt jeder Post professionell geplant und aufbereitet. Er wird zwar wahrgenommen, entwickelt aber nicht dieselbe Sogkraft.
Zum Trendthema Communitys. Warum werden die wichtig?
Es gibt Kunden, und es gibt Fans. Viele Marken, die in den letzten Monaten groß geworden sind, haben das über den Aufbau eigener Communitys geschafft. Die Laufschuhmarke ON etwa ist über die Community der Läufer gewachsen. Es gibt „Laufläden“, in denen die Leute Schuhe kaufen. ON hat da seine ersten Stammkunden gewonnen, hat dann mit diesen begeisterten Käufern – echten Fans – selbst Läufe veranstaltet und so um die Marke, um den Schuh herum eine Community gebaut. Gut gemacht, kann so etwas für jedes Produkt funktionieren.
Also nicht nur bei jungen, neuen Marken?
Keineswegs! Vorwerk ist ein weiteres Beispiel für eine Community aus Fans. Das Unternehmen gibt es seit vielen, vielen Jahren, aber jedes Mal, wenn eine neue Küchenmaschine auf den Markt kommt, greift das Fan-Prinzip. Die unterschiedlichsten Marken lassen sich über die Bildung von Communitys entwickeln. Man muss die Fans finden und zusammenbringen. Die tragen dann eine Begeisterung nach außen, die weitere Fans nach sich zieht.
Wie fängt man da am besten an?
Ganz klein! Man bringt zehn Kunden zu einem Stammtisch zusammen. Spricht mit ihnen, zieht sie ins Vertrauen und hört ihnen zu. Viele Menschen denken beim Thema Marketing immer gleich an teure, extrem reichweitenstarke Kampagnen, an Plakate oder Fernsehwerbung oder Kooperationen mit großen Influencern. Ist alles nicht nötig. Der Weg über Communitys ist der günstigere und bessere Weg.
Events sind für die digitale Welt
Kommen wir zu Trend Nr. 3, den Events. Klingt auch nicht wirklich neu.
Neu sind Events, die zwar in der echten Welt stattfinden, aber für die digitale Welt gedacht sind. Wenn ich ein Auto verkaufen will, inszeniere ich eine Show zum Produktlaunch und lade dazu Influencer ein, die in der digitalen Welt ganz stark wahrgenommen werden. In real life habe ich also nur wenig Publikum; alles andere spielt sich bei Social Media ab. Dort sind ja bekanntlich eine Storyline und sinnhafte Inhalte nötig. Nun werden Offline-Events immer öfter als sinnhafter Content für die digitale Welt genutzt. Beispiel: Das Kreuzfahrtunternehmen TUI Cruises braucht einen Event für die Jungfernfahrt seines neuen Schiffs. Idee: ein Konzert mit Robbie Williams! Damit sollen aber nicht so sehr die Leute an Bord angesprochen werden, die ihre Kreuzfahrttickets ja schon gekauft haben. Sondern Millionen anderer Menschen vor ihren Handys oder Computern. Die erfahren über den Umweg des Konzerts via Social Media von dem neuen Schiff.Auch die amerikanische Fastfood-Kette Taco Bell betreibt diese Form von Eventmarketing. Sie stellt einmal im Jahr ihre „Tacos des Jahres“ auf einem Event vor. Früher gab’s das nicht, da hat man im Laden Poster mit den neuen Gerichten aufgehängt. Jetzt gibt es eine Bühne und eine tolle Präsentation, aber weniger für die Gäste im Saal, sondern vor allem für die in der digitalen Welt. Der Event kreiert Content. So macht die Inszenierung eines Offline-Events Sinn.
Ein echter Gamechanger in der Wirtschaft ist die künstliche Intelligenz. Was bedeutet sie für das Marketing?
KI sorgt für Kosteneinsparungen auf der Produktions- und Verwaltungsseite. Die Dinge werden da unkomplizierter und schneller. KI wird teilweise aber auch für mehr Mittelmaß sorgen. Denn sie tut nie das Ungewöhnliche, das Überraschende. Wenn es darum geht, kreativ zu sein und sich über eine Idee zu differenzieren, brauchen wir auch weiterhin das menschliche Gehirn.
Welche Rollen werden Augmented und Virtual Reality und Metaverse im Marketing spielen?
Ich sehe nicht, dass bald eine kritische Anzahl von Menschen auf diesen Plattformen ansprechbar sein wird. Die Menschen scheinen die persönliche Erfahrung doch höher einzuschätzen. Außerdem ist das Erleben dieser virtuellen Welten ein teurer Spaß für den Einzelnen; Endgeräte und Brillen kosten viel Geld. Funktionieren mag das für Gaming-Welten, aber nicht in der Breite. Es ist eine Frage der Rentabilität. Wenn die fehlt, machen virtuelle Welten im Marketing keinen Sinn.
Braucht ein Unternehmen heute noch die klassische Website?
Ja, die braucht es. Denn die tut etwas für die Identität des Unternehmens. Sie gibt ihm Wurzeln. Die Website wird allein aus sich heraus nicht viele Kunden bringen. Es muss an anderer Stelle Traffic generiert werden, der zur Website führt. Aber sie bedeutet Präsenz für Kunden und Mitarbeiter. Die Internetwelt ist für die meisten Menschen mittlerweile genauso reell wie die echte Welt. Da muss ein Unternehmen seinen Platz haben. Auch ein Ausflugslokal kann da seine Speisekarte zeigen, Fotos, Öffnungszeiten. Für eine ganz junge Marke mag ein Instagram-Account reichen. Aber warum auf eine Website verzichten? Sie kostet ja praktisch nichts.
Und was ist mit Print im Marketing?
Print ist fast tot – leider. Obwohl manche Firmen immer noch erfolgreich in Print investieren. Ich bin selbst erstaunt, wie gut das funktionieren kann. Ich lese jedes Wochenende das SZ-Magazin. Dort gibt es in fast jeder Ausgabe vorne eine große, einseitige Sofawerbung. Ich sitze dann auf meinem Sofa zu Hause, schaue auf die Anzeige mit dem anderen Sofa und denke mir, geil, irgendwann kaufe ich mir das. Es lassen sich also durchaus Cases aufzeigen, in denen Print funktioniert. Aber die Reichweite wird zunehmend kleiner, und das macht es schwieriger.
Erstaunlich, wie gut Printwerbung funktionieren kann.
Dein Unternehmen OMR ist auch mit Podcast-Formaten erfolgreich. Wie gut funktionieren Podcasts im Marketing?
Podcasts funktionieren, weil Medienkonsum heute on demand ist. Man holt sich seine Inhalte, wenn man Zeit hat. Dazu kommt der Faktor Handy: Das bietet jederzeit ganz einfach Zugang. Drittens gibt es ein riesiges Angebot an Podcasts, seit Virologen und Influencer das Genre gepusht haben. Dazu kommen neue Nutzungszeitfenster, etwa beim Joggen, Autofahren, Zähneputzen. In Zeiten, in denen früher nicht unbedingt Medien konsumiert wurden. Da war das höchste der Gefühle ein Radio im Badezimmer. Diese Aspekte kommen jetzt alle zusammen.
Was richtig gut zusammenpasst, sind Reise und Podcasts. Eine Destination könnte etwa zehn Folgen produzieren, in denen ein Einheimischer und ein Journalist über die zehn tollsten Orte dieser Destination sprechen. Diese Folgen bleiben immer abrufbar. Man schafft dadurch im Netz einen Ort für Menschen, die sich gerade für die Destination interessieren, vielleicht eine Reise planen und die dann da reinhören. Podcast ist eine wunderschöne grüne Wiese, da kann man ganz viel Neues machen. Bei OMR haben wir etwa einen Podcast zum Thema Tennis gestartet. Der kommt nur, wenn die Grand-Slam-Turniere sind, wenn also Tennis gerade Thema ist. Sonst nicht.
Deine drei konkreten Tipps für Marketingprofis?
Erstens: Man muss heute nicht gleich mit einer Kampagne starten, die Hunderttausende Euro kostet, so wie früher mit TV-Werbung. Auf Plattformen wie TikTok oder Instagram lässt sich mit minimalen Testbudgets herausfinden, was klappt. Zweitens: gucken, was die anderen machen, offen sein! Durch Wettbewerbsbeobachtung lässt sich viel lernen. Drittens: Was früher funktioniert hat, muss heute oft provokativ sein. Mutige, individuelle Aktionen ziehen enorm im Internet. Aber natürlich muss man gucken, ob so was zur eigenen Marke passt. Extratipp Nummer vier: OMR verfolgen! Und gucken, was es da Tolles gibt.
Der aus Essen stammende Unternehmer ist Gründer und Geschäftsführer von OMR, der führenden Plattform für digitales Business mit rund 400 Mitarbeitenden. Zum Angebot von OMR gehören Events, Seminare und Podcasts, darunter der OMR Podcast, in dem Westermeyer mit spannenden Persönlichkeiten von Julia Jäkel bis Dirk Nowitzki über Business, Digitales und die Weltlage spricht. Das jährlich in Hamburg veranstaltete OMR Festival mit rund 67.000 Besuchenden gilt als eines der größten Treffen von Führungskräften aus Medien, Marketing und Digitalwirtschaft in Europa.
Fotos © OMR/Jonas Walzberg; OMR/Jewgeni Roppel